Vom 25. bis 27. September fand in New York der Gipfel der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung statt, auf dem die Post-2015-Agenda mit neuen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen verabschiedet wurde. Am vergangenen Donnerstag gab Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu eine Regierungserklärung im Bundestag ab. Die Grüne Bundestagsfraktion hat 17 eigene Anträge zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Deutschland erarbeitet, die im Anschluss an die Regierungserklärung erstmalig im Plenum beraten wurden.
Claudia Roth sagte in ihrer Rede, das akute und beispiellose Flüchtlingselend sei ein Symptom für den aktuellen Zustand der Welt. „Eine wirkliche Nachhaltigkeitsagenda kann die Welt gerechter machen. Sie ist damit auch eine aktive Fluchtursachenbekämpfung und Konfliktprävention“, so Roth. Der Bundesregierung warf sie vor, „überhaupt nicht gut auf die Anforderungen der globalen Nachhaltigkeitsagenda vorbereitet zu sein. […] Wir sind nämlich weltspitze im Fleischverbrauch, in der Kohleverstromung und im Kleidungsverbrauch, und wir sind in der Euro-Zone Meister in der sozialen Ungleichheit.“ Roth warnte davor, so zu tun, als sei Deutschland schon jetzt Nachhaltigkeitsweltmeister.
Die Rede im Wortlaut:
Lieber Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
António Guterres hat es sehr deutlich gesagt: Das akute und beispiellose Flüchtlingselend ist ein Symptom für den aktuellen Zustand der Welt, einer Welt, die in Unordnung ist, einer Welt, in der wir die Auflösung der postkolonialen Staatenordnung erleben, einer Welt, in der die Klimakatastrophe droht, die viele weitere 100 Millionen Menschen zur Flucht zwingen wird, in der wir ein gigantisches Artensterben und eine Vermüllung der Meere erleben, in der die reichsten 80 Menschen genauso viel haben wie 3,5 Milliarden Menschen. Es ist eine Welt, in der noch nie so viele Menschen auf der Flucht waren; die schlimmste Zahl ist vielleicht, dass darunter 31 Millionen Kinder sind.
Wir erleben das Entstehen einer Weltgesellschaft, wie Dirk Messner es ausgedrückt hat, wenn Klimakollaps, Ebola, Griechenland-Krise, Charlie Hebdo und die derzeitige Fluchttragödie in unseren Hauptstädten, in unseren Dörfern ankommen und uns so gezeigt wird, dass die Probleme dieser Welt nicht mehr weit weg bleiben. Das wird auch jedem klar, der die Bilder von der dramatischen Einreise nach Europa sieht, der sieht, wie Menschen versuchen, über Stacheldrahtzäune von Serbien nach Ungarn zu klettern, der sieht, wie sie in völlig überfüllten Booten von Libyen oder von der Türkei aus über das Mittelmeer kommen wollen, der die Bilder von Zügen und Lastwagen sieht, mit denen Menschen innerhalb Europas von Land zu Land geschickt werden.
Ich sage: Mein Europa ist nicht das Europa eines Viktor Orban, der zum Dank für Mauern, Zäune, Tränengas und für den Einsatz von Militär gegen Flüchtlinge von der CSU ins Kloster Banz eingeladen wurde.
Er ist als Ehrengast eingeladen worden, als Ehrengast, der rechtspopulistisch gegen Muslime hetzt, Stimmung gegen Humanität und Menschenwürde macht und – mit Verlaub – unflätig gegen Angela Merkel hetzt.
Diese EU muss endlich gemeinsam Verantwortung in der Welt und für die Welt übernehmen. Denn Europa trägt mit seiner Menschenrechtspolitik, die gescheitert ist, mit seiner Rüstungspolitik, seiner Handelspolitik, seiner Fischereipolitik, seiner Ressourcenpolitik, seiner Agrarpolitik und mit gebrochenen Versprechen, wenn es um globale Gerechtigkeit und Klimaschutz geht, doch dazu bei und hat eine große Mitverantwortung dafür, dass überhaupt so viele Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.
Deutschland als reiches Industrieland in der EU trägt eine ganz besondere Verantwortung. Genau darum geht es bei der neuen globalen Nachhaltigkeitsagenda. Denn anders als noch bei den Millenniumszielen steckt in den SDGs das Wissen, dass die Welt nur dann gerechter wird, wenn sich alle bewegen, also auch und zuerst die reichen Industrieländer, also auch und mit zuerst wir.
Eine wirkliche Nachhaltigkeitsagenda kann die Welt gerechter machen. Sie ist damit auch eine aktive Fluchtursachenbekämpfung und Konfliktprävention.
Ich warne aber davor, so zu tun, als sei Deutschland schon jetzt Nachhaltigkeitsweltmeister. Wir sind nämlich weltspitze im Fleischverbrauch, in der Kohleverstromung und im Kleidungsverbrauch, und wir sind in der Euro-Zone Meister in der sozialen Ungleichheit. Das heißt, wir sind überhaupt nicht gut auf die Anforderungen der globalen Nachhaltigkeitsagenda vorbereitet.
Weil es nicht schon wieder passieren darf, dass man von der UNO am Wochenende nur feierliche Erklärungen hört und dass Minister Müller, dem ich es wirklich abnehme, dass diese 17 Ziele Herzensanliegen für uns sind, nur gut gemeinte Worte spricht, haben wir Grünenfraktion 17 Anträge zu den 17 Zielen erarbeitet und gezeigt, was zur Erreichung dieser Ziele für Deutschland und für unsere Politik konkret notwendig ist. Wir haben diese 17 SDGs aus dem Elfenbeinturm herausgeholt, herunterdekliniert und konkrete politische Handlungsanforderungen daraus gemacht: für artgerechte Tierhaltung statt Massentierqual, für Wohlstand statt blindem Wachstum, für eine faire Handelspolitik statt TTIP, für einen Stopp des Artensterbens statt einer Überfischung der Weltmeere, für eine vorausschauende Friedenspolitik statt Rüstungsexporten, für eine humanitäre Schutzverantwortung statt neuen Mauern, für eine globale Partnerschaft und für das 0,7-Prozent-Ziel, das endlich erreicht werden muss.
Ich komme zum Schluss, lieber Herr Präsident. – Wir erwarten jetzt, dass wirklich jede und jeder von Ihnen genau das Gleiche tut, nämlich herunterdekliniert und sagt, welche Verantwortung die 17 Ziele für jedes Ministerium mit sich bringen. Dann muss es an die Umsetzung gehen. Nur dann ist diese Politik kohärent, und nur dann ist es glaubwürdig, dass auch diese Regierung die Fluchtursachen bekämpfen will.
Vielen Dank.