In der letzten Woche stand im Bundestag die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika auf der Tagesordnung. Claudia Roth kritisierte in ihrer Rede vor dem Plenum, dass der angekündigte „grundlegende Kurswechsel“ in der Afrikapolitik bisher ausgeblieben sei. Roth sagte an den Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, gerichtet, sie freue sich über die Debatte und den notwendigen Fokus. „Sehr viel mehr“ würde sie sich jedoch darüber freuen, wenn den Worten des Ministers auch „eine kohärente Politik der ganzen Bundesregierung“ folgen würde.
Deutschland und die EU müssten ihre überzogene Marktliberalisierung in der Handelspolitik gegenüber den afrikanischen Ländern sofort stoppen, forderte Roth. Dafür hätte es zuletzt beim G-7-Gipfel in Elmau die Gelegenheit gegeben. Auf diesem Gipfel wäre es möglich gewesen, „die Politik gegenüber den afrikanischen Staaten tatsächlich neu auszurichten“. Diese Chance sei aber „komplett vertan“ worden. In der Erklärung des G7-Gipfels stehe „viel Lyrik, aber keine richtungweisenden Entscheidungen“.
Die Rede im Wortlaut:
Liebe Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Herr Minister Müller, über die heutige Debatte und über den notwendigen Fokus auf, wie Sie sagen, unsere Heimat Afrika. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich würde mich noch sehr viel mehr freuen, wenn Ihren Worten, die wir auch heute im Plenum hören durften, eine kohärente Politik der ganzen Bundesregierung folgen würde.
Ein Jahr nach der Verabschiedung der Afrikapolitischen Leitlinien, ein Jahr nach Ihrem Afrika-Konzept frage ich Sie heute: Wo bleibt denn der von Ihnen angekündigte grundlegende Kurswechsel in der Entwicklungspolitik, gerade gegenüber Afrika? Bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten haben Sie darauf hingewiesen. Ich zitiere Sie jetzt. Sie sagten, dass die G-7-Staaten eine „herausgehobene Verantwortung“ gegenüber den Entwicklungsländern Afrikas haben, da unser Wohlstand auf deren Ressourcen beruht. Sie sagten auch, dass „viel zu lange … Europa den afrikanischen Kontinent mit ausgebeutet“ hat und sich deshalb nun endlich die „Marktverhältnisse“ zwischen Europa und den afrikanischen Staaten ändern und wir „neu teilen lernen“ müssen.
Lieber Gerd Müller, da kann ich Ihnen nur recht geben und Ihnen zustimmen. Aber wenn das so ist, wie Sie sagen, dann frage ich mich: Warum passiert dann ganz praktisch nichts, was genau in die Richtung geht, in die Sie weisen? Denn würde die Kanzlerin, würde das Kabinett Ihre Worte tatsächlich ernst nehmen, dann müsste Deutschland und dann müsste auch die Europäische Union unverzüglich einen wirklichen Politikwechsel einleiten. Deutschland und die EU müssten zum Beispiel ihre überzogene Marktliberalisierung in der Handelspolitik gegenüber den afrikanischen Ländern sofort stoppen. Dafür hätte es eine Chance gegeben. Es hätte die Gelegenheit beim G-7-Gipfel in Elmau gegeben. Auf diesem Gipfel wäre es möglich gewesen, die Politik gegenüber den afrikanischen Staaten tatsächlich neu auszurichten, indem zum Beispiel die Vorfahrt für die Wirtschaft und für die eigenen Handelsinteressen der G-7-Staaten beendet wird und stattdessen die Voraussetzungen für eine wirklich nachhaltige Entwicklung, eine Entwicklung, die für Wohlstand auf dem afrikanischen Kontinent sorgt, geschaffen werden.
Aber jetzt einmal ganz im Ernst: Auch Sie müssen zugeben, dass diese Chance komplett vertan worden ist. Wenn wir die Gipfelabschlusserklärung lesen – wir haben sie sehr intensiv gelesen –, dann finden wir viel Lyrik, aber keine richtungweisenden Entscheidungen der G 7. Gerade im Bereich der Entwicklungspolitik fehlen verbindliche finanziell unterlegte Zusagen. Ich sage: Das ist überhaupt kein gutes Omen für Addis Abeba.
Wir alle wissen, dass solch warme Worte auf dem Papier nichts anderes sind als schöne Rhetorik. Beispiel Hungerbekämpfung: In Elmau wurde die Absichtserklärung abgegeben, 500 Millionen Menschen bis 2030 aus Hunger und Mangelernährung zu befreien. Aber es wurde keine einzige konkrete Verpflichtung oder Maßnahme beschlossen, mit der dieses Ziel auch erreicht werden kann. Stattdessen taucht das seit 45 Jahren unerfüllte Versprechen der Industriestaaten, das 0,7-Prozent-Ziel, nur abgeschwächt und im gleichen Atemzug mit der Förderung privater Kapitalflüsse, auf. Nehmen wir die Handelspolitik, die Landwirtschaftspolitik, die Fischereipolitik. Da drückt sich die Bundesregierung doch vor der großen Verantwortung eines tatsächlichen Politikwechsels gegenüber Afrika. Entwicklungszusammenarbeit wird hier immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben, solange Fischtrawler vor den Küsten Senegals die Meere leerfischen, solange europäische Agrarsubventionen die lokalen Märkte Afrikas zerstören, solange Ihr Kollege Christian Schmidt die Agroindustrie promotet – da nützt es auch nichts, wenn Sie von grünen Zentren reden – oder solange mit TTIP ein fairer Welthandel verhindert wird.
Auf TTIP hat sich ja Frau Merkel heute in der Regierungserklärung wieder sehr positiv bezogen. Sagen Sie mir doch einmal im Ernst: Wie hilft ausgerechnet TTIP Afrika? Das hilft doch nicht, sondern das schadet in der Konsequenz.
Es ist deshalb ein wichtiges und notwendiges Vorhaben – das sage ich, weil ich weiß, dass Ihr Herz wirklich dafür schlägt –, dass Sie, lieber Gerd Müller, verstärkt die Fluchtursachen in den Staaten Afrikas angehen wollen. Aber, mit Verlaub, was ist denn am Montagabend passiert? Sie werden doch sofort von der CSU, Ihrer eigenen Partei, zurückgepfiffen; denn da geht es nicht um humanitäre Flüchtlingspolitik, sondern eher um Flüchtlingsabwehr. Also auch hier steht zu befürchten, dass es bei den hehren Worten bleibt.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik muss sich ändern, und unsere Interessen hinsichtlich Afrika müssen sich ändern. Solange der von mir geschätzte Entwicklungsminister in dieser Regierung aber als Minister mit Zuständigkeit fürs gute Gewissen gesehen wird, während der Rest des Kabinetts etwas ganz anderes macht, wird leider viel zu wenig passieren. Kohärenz sieht zumindest anders aus.