Anlässlich des heutigen NSU-Urteils des Oberlandesgerichtes in München, erklärt Claudia Roth:
Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt und auch weitere Angeklagte des NSU-Terrornetzwerks haben hohe Haftstrafen verhängt bekommen. Die Klarheit dieses Urteils ist zu begrüßen. Die Deutlichkeit des Strafmaßes ist das Mindeste an Gerechtigkeit, nach all den zermürbenden Jahren, nach all der Demütigung, die nicht nur die Angehörigen der Opfer, sondern auch alle von rassistischer Gewalt in Deutschland Betroffene durch die Taten und den öffentlichen Umgang damit erleben mussten.
Doch das heutige Urteil reicht bei weitem nicht aus, hier und heute darf #keinschlussstrich gezogen werden. Zu viele Fragen bleiben offen, zu viel wurde ausgeblendet, zu viel wurde unter den Tisch gekehrt. Statt den Blick auf einige wenige Täter*innen zu verengen, braucht es Aufklärung über die Netzwerkstrukturen und den Nährboden hinter dem NSU-Terror. Auch muss die Rolle des Verfassungsschutzes lückenlos offen gelegt und daraus Konsequenzen gezogen werden.
Der politische Geist, in dem die Mitglieder des NSU damals als Jugendliche radikalisiert wurden, lag harten Asylrechtsverschärfungen und heftigen rassistischen Debatten in Deutschland zugrunde. Es war die Zeit der rassistischen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen. Heute, viele Jahre später, erleben wir erneut einen rassistischen Diskurs in Deutschland und Europa. Wenn heute rechtsextreme Netzwerke bis in den Bundestag hineinreichen, wenn Rassismus durch eine Verrohung von Sprache strategisch Vorschub geleistet wird, dann muss die Gefahr weiterer Gewalttaten und der Radikalisierung junger Menschen ernst genommen werden. Wir brauchen eine ernste Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus in diesem Land und eine gestärkte Zivilgesellschaft, die präventiv gegen Radikalisierung vorgehen kann. Wir brauchen aber vor allem eine Bundesregierung, die sich dieser Verantwortung bewusst ist. Das sind wir nicht nur den Opfern der furchtbaren Morde schuldig, das ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Deshalb, nicht nur heute, sondern immer wieder:
Enver Şimşek,
Abdurrahim Özüdoğru,
Süleyman Taşköprü,
Habil Kiliç,
Michèle Kiesewetter,
Mehmet Turgut,
İsmail Yaşar,
Theodorus Boulgarides,
Mehmet Kubaşık,
Halit Yozgat.