Der rechtsextreme Anschlag in Halle ist ein entsetzlicher Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland. Zugleich zielen die Morde auf den multireligiösen und multiethnischen Charakter unseres Landes, auf unsere offene und vielfältige Demokratie. Wir trauern mit den Angehörigen um die Opfer in Halle und wünschen den Verletzten gute und rasche Genesung. Wir stehen mit Entschiedenheit an der Seite der jüdischen Gemeinschaft und versichern ihr unsere Solidarität und Unterstützung. Alle Bedrohungen gegen Jüdinnen und Juden, alle Angriffe auf ihre Einrichtungen weisen wir energisch zurück. Wir stellen uns jeder Form von Antisemitismus und Terror entgegen.
Es gilt nun mehr denn je, dass wir Demokratinnen und Demokraten klare Worte finden und zusammenhalten; dass wir uns gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und Antiziganismus, Hass, Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stellen. Seit Jahren wird die Grenze des Sagbaren gezielt verschoben. Nach dem Sagbaren aber kommt das Machbare, dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen.
Auch wenn die Tat in Halle von einem Einzelnen durchgeführt wurde, ein Einzeltäter ist er sicherlich nicht. Die rechtsextreme Szene koordiniert und tauscht sich seit Jahren aus, hier in unserer Region Augsburg und Schwaben genauso wie auf nationaler und internationaler Ebene. Ihre Ideologie vereint Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und Antiziganismus, akute Gewaltbereitschaft und virulenten Frauenhass. Ihre Vernetzung reicht bis weit hinein in demokratische und gesellschaftliche Grundstrukturen, auch in Deutschland. Einige ihrer Wortführer und Brandstifter sitzen gar in unseren Parlamenten.
Jedes Jahr werden Jüdinnen und Juden, Synagogen, jüdische Friedhöfe und Einrichtungen angegriffen oder bedroht. Es ist traurige Realität, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland überhaupt geschützt werden müssen. Aber wie notwendig dieser Schutz ist, zeigen die letzten Wochen – nicht nur in Halle. Auch in Schwaben und Augsburg fühlen sich jüdische Menschen nicht sicher. Hier in unserer Synagoge werden Hakenkreuze in das Gestühl der Frauenempore geritzt; in einer Ausstellung des Jüdischen Museums wurden Plakate antisemitisch beschmiert. 219 antisemitische Vorfälle wurden im letzten Jahr in Bayern offiziell registriert, in Nordschwaben waren es 88 Fälle, die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen.
Viel zu lange wurden Warnungen vor der Salonfähigkeit rassistischen Gedankenguts ignoriert. Viel zu lange wurden Hinweise auf Radikalisierung und Vernetzung kleingeredet, auch in Verfassungsschutzbehörden. Viel zu lange wurden Forderungen nach einer spürbaren Intensivierung antirassistischer Arbeit weggewischt. Dies alles ist unerträglich und verlangt nach einem ständigen Aufschrei. In diesen stimmen wir ein. Möge er laut und deutlich zu hören sein, und möge er zum Symbol werden – einem Symbol dafür, dass wir zusammenstehen. Jetzt erst recht.
Claudia Roth, Mitglied des Bundestages, Bundestagsvizepräsidentin; Stephie Schuhknecht, Landtagsabgeordnete; Cemal Bozoglu, Landtagsabgeordneter; Christine Kamm, ehemalige Landtagsabgeordnete; Reiner Erben, Referent für Migration der Stadt Augsburg; Martina Wild, Fraktionsvorsitzende im Augsburger Stadtrat; Verena von Mutius-Bartholy, Stadträtin; Antje Seubert, Stadträtin; Dr. Pia Haertinger, Stadträtin; Eva Leipprand, Stadträtin; Matthias Lorentzen, Stadtrat; Silvia Daßler, Fraktionsvorsitzende im Kreistag Augsburg-Land; Heidi Terpoorten, Fraktionsvorsitzende im schwäbischen Bezirkstag; Melanie Hippke, Vorsitzende Bündnis 90/Die Grünen – KV Augsburg und schwäbische Bezirksvorsitzende; Peter Rauscher, Vorsitzender Bündnis 90/Die Grünen – KV Augsburg; Wolfgang Urban, Schatzmeister, Bündnis 90/Die Grünen – KV Augsburg; Felix Reiner, Grüne Jugend Augsburg; Axel Kuckelkorn, Grüne Jugend Augsburg; Fiona Strauß, Grüne Jugend Schwaben.
Augsburg, den 11. Oktober 2019