Grußwort von Claudia Roth anlässlich der Filmpremiere von „Nebel im August“ in Augsburg am 1. Oktober 2016
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Sehr geehrter Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert,
liebe Ulrike Bahr,
sehr geehrter Oberbürgermeister Kurt Gribl,
lieber Prof. Dr. Michael von Cranach,
lieber Robert Domes,
liebe Angehörige, liebe Schauspielerinnen und Schauspieler,
liebe Gäste,eigentlich freue ich mich immer auf Kinobesuche, aber die heutige Premiere kann einen sehr traurig machen.
Dennoch, und das will ich vorweg schicken, danke ich allen Beteiligten für diesen Film und diese feierliche Premiere – für den ersten Spielfilm über das Schicksal eines „Euthanasie“-Opfers.
Dieser Euphemismus vom „schönen Tod“ sollte den hunderttausendfachen Mord nach außen tarnen und nach innen ideologisch rechtfertigen – bis heute hat es gedauert, dieses Kapitel allmählich aufzuarbeiten.
Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Michael von Cranach, der in langjähriger unermüdlicher Recherche eines der ganz dunklen Kapitel Deutschlands und auch Bayerns beleuchtet hat und ohne den dieses Buch, der Film und diese Geschichte vielleicht nicht zu Tage gekommen wären.
Dank Ihrer Recherche steht heute der Name Ernst Lossa für den tausendfachen Mord an Kindern im Rahmen der „Aktion T4“, ist Robert Domes Buch „Nebel im August“ Pflichtlektüre an Bayerischen Schulen und wird nächstes Jahr ein Stolperstein für Ernst Lossa hier in Augsburg, seiner Heimatstadt, gelegt werden.
Seit 1996 begehen wir in Deutschland den 27. Januar als bundesweiten und gesetzlich verankerten Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, seit 2005 folgt die internationale Staatengemeinschaft diesem Beispiel weltweit.
Die Morde an kranken und behinderten Menschen, oder denen, die man nur so bezeichnete – das sogenannte „Euthanasie“-Programm der Nazis, dem mehr als 300.000 Menschen in Europa zum Opfer fielen, allein 2.400 in Kaufbeuren – sind Thema der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags am 27. Januar 2017.
Auch hier spielt das Engagement von Prof. Dr. Michael von Cranach eine große Rolle und ich danke Ihnen von Herzen dafür.
Viel zu spät, erst im November 2011, beschloss der Deutsche Bundestag, einen Gedenkort für die Opfer der „Euthanasie“-Morde am historischen Ort der Planungszentrale in der Tiergartenstraße 4 zu errichten und 2014 schließlich wurde der „Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen ,Euthanasie‘-Morde“ in Berlin eingeweiht – für Opfer und Angehörige eine späte und überfällige Geste, aber ein wichtiger Schritt der Anerkennung und der Würdigung des hundertausendfachen Leids.
Sie gehören fest ins kollektive Gedächtnis unseres Landes.
Die Erinnerung an diese Gräuel, die nicht ohne Mitwisser und -täter in den Kommunen und vor den Augen aller stattfand, ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung und gesamtstaatlicher Verantwortung.
Die Erinnerung prägt zu Recht auch bis heute die Debatte um Ethik und Recht der modernen Medizin in unserem Land.
In Zeiten, in denen es hierzulande eine erstarkende Neue Rechte gibt, in der selbst Menschen, die sich Christen nennen, wieder versuchen, Menschen aufgrund von Religion oder Kultur auszugrenzen und abzuwerten, in denen Begriffe aus der nationalsozialistischen Rhetorik wieder Eingang in den Sprachgebrauch selbst von Politikerinnen und Politikern sowie Medien finden, populistisch einfach die Welt erklärt und der Feind bestimmt wird, ist es umso wichtiger, die Geschichte zu zitieren und zu erzählen.
In Zeiten, in denen die Rhetorik scharf, völkisch und rechtspopulistisch wird, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass auch vor über 70 Jahren die millionenfache Vernichtung von Menschen zuerst mit Worten vorbereitet wurde.
Die Verbrechen, die einst von Deutschland ausgingen – millionenfach – dürfen wir auch in Anbetracht der Flucht von Menschen heute nie vergessen, denn Vergessen tötet zweimal.
Vielen Dank.
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