Am vergangenen Donnerstag wurde im Bundestag sowohl der 17. als auch der 18. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik beraten. Während sich die Bundesregierung vor allem darauf beschränkte, die internationale Wahrnehmung Deutschlands zu loben und zu betonen, dass Deutschland nach sechs Jahren wieder den ersten Platz in der Gesamtwertung des „Nation Brands Index“ belege, plädierte Claudia Roth dafür, auch andere Aspekte in den Blick zu nehmen.
Sie sagte vor dem Plenum: „Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik geht dorthin, wo sonst nichts mehr oder noch nichts möglich ist. Sie öffnet Türen, wo politische Diplomatie noch nicht angekommen ist oder wo sie am Ende ist. Sie bereitet Wege, die Begegnungen hin zu Frieden und Aussöhnung ermöglichen, und das muss uns viel, das muss uns sehr viel mehr wert sein.“
Es sei eine großartige Initiative des Goethe-Instituts, in Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen Kultur- und Bildungsprojekte zu realisieren. Diese vermittelten besonders Kindern und Jugendlichen, aber auch Künstlern selbst, die zu Flüchtlingen geworden sind, sinnvolle Beschäftigung, die das Erlebte verarbeiten helfen und die kreative Alternativen entwickelten. Es gehe dabei um den Versuch, zu verhindern, dass durch das aktuelle Flüchtlingselend tatsächlich eine weitere verlorene Generation entstehe, so Roth.
Auch da, wo Menschen in ihre Heimat zurückkehren könnten, wie zum Beispiel in Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Nordirak, bildeten die Kulturmittler und die deutschen Auslandsschulen ein zivilisatorisches Fundament für den perspektivischen Wiederaufbau und für die Selbstermächtigung der Menschen. „Aber gerade diese Schule ist von der Schließung bedroht, weil die finanzielle Unterstützung fehlt. Da muss etwas passieren“, forderte Roth.
Die Rede im Wortlaut:
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Welt ist im Umbruch, und wie Ulla Schmidt auch mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen und die vielen Konfliktherde gesagt hat: Die Welt ist eigentlich längst aus den Fugen geraten. In dieser Welt im Umbruch, die wie nie zuvor von der Globalisierung geprägt ist, erhält die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine immer größere Bedeutung.
Die Welt von heute ist aber auch geprägt von einer Repolarisierung, von Schwarz-Weiß-Denken und alten und neuen Feindbildern. Alte Gräben werden wieder aufgerissen wie zwischen Russland, Europa und den USA, zwischen Iran und Saudi-Arabien, zwischen der türkischen Regierung und den Kurden, zwischen Juden und Palästinensern oder auch innerhalb Europas, wie wir es in diesem Sommer ganz besonders und sehr erschrocken beobachten mussten.
Aber auch die neuen Gräben vergrößern sich von Tag zu Tag. So lässt die Umsetzung des Friedensprozesses in der Ukraine weiter auf sich warten, und die Konflikte, die entgrenzte Gewalt in Syrien, im Jemen, in Afghanistan, in Libyen und im Irak verschlimmern sich immer mehr. Wir erleben in dieser Welt von heute postkoloniale Umbrüche, das Entstehen neuer Autokratien und die Entrechtung der universellen Menschenrechte.
Dort, wo politische Kontakte nicht mehr stattfinden, sondern wo Schweigen oder, schlimmer noch, nur noch Waffengewalt herrscht, dort, wo eigentlich politisch nichts mehr geht, braucht es Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Es braucht sie als leisen und vorsichtigen Brückenbauer. Es braucht sie als ersten Türöffner für den Dialog. Es braucht sie zur Stärkung einer geschwächten Zivilgesellschaft.
Es muss uns Sorgen bereiten, dass in den letzten Jahren in über 80 Staaten sogenannte NGO-Gesetze verabschiedet wurden, die keinen anderen Inhalt haben, als die Rechte und Räume von NGOs einzuschränken, manchmal sogar, um ihre Arbeit zu erdrosseln. Wenn Presse und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst kaum mehr vorhanden sind, dann braucht es die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die geschützte Räume für kritische Gedanken schafft und ziviles Engagement und oppositionellen Mut beheimaten kann.
Auch dort, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo terroristische Gewalt nicht nur Menschenleben fordert, sondern auch kulturelles Menschheitserbe systematisch zerstört wird, wie die Tempel von Palmyra in Syrien, die Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan, die Bibliothek von Timbuktu in Mali und die assyrischen Stätten in der Ninive-Ebene im Irak oder jetzt im Jemen, wo Saudi-Arabien das Land ins Mittelalter bombt und die Weltkulturerbestätten von Sanaa und Schibam zerstört werden, braucht es die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die versucht, zu schützen und zu erhalten, was unsere gemeinsame globale Identität ausmacht. Sie gibt sich nicht zufrieden mit einem Eintrag in die rote UNESCO-Liste, sondern versucht, Druck – auch politischen – auszuüben.
Es ist dringend notwendig – wir begrüßen das –, dass das Deutsche Archäologische Institut stärker unterstützt wird. Dieses Institut plant nun zum Beispiel in Teheran eine Ausstellung zur Geschichte der deutsch-iranischen Forschung und zur 50-jährigen Geschichte der Außenstelle des Instituts in der iranischen Hauptstadt. Auch Archäologie ist Kulturerhalt. Mehr noch: Sie bietet die Chance, über die Arbeit am Gestern ein gemeinsames Morgen zu eröffnen.
Wir brauchen die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aber auch als Teil unserer Erinnerungskultur. Das haben wir gerade in diesem Jahr erleben und beweisen können. 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel werden emotional erfahrbar beispielsweise durch Installationen von Sigalit Landau – unterstützt vom Auswärtigen Amt –, die wir in unserem Haus ausstellen konnten, oder durch ein Konzert mit den „Violinen der Hoffnung“. Das Gedenken an den Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren vermag noch heute, Politik zu prägen und Konsequenzen für die Lebenden zu fordern. Genau da setzt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik an; denn sie zeigt in der Erinnerungskultur, wie wir mit unserer Vergangenheit verantwortlich umgehen und ob wir wirklich bereit sind, uns ihr vollständig zu stellen, um so Vertrauen bei den Nachgeborenen des Naziterrors zu schaffen. Unsere Debatte über den deutschen Völkermord an den Herero zeigt doch exemplarisch, dass es nicht reicht, vergangenes Leid bzw. Schuld anzuerkennen, wenn damit nicht gleichzeitig eine Verantwortungsübernahme einhergeht. Da ist noch sehr viel zu tun.
Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die dritte Säule der Außenpolitik. Damit das alle wissen: Sie ist kein Sahnehäubchen und auch kein Accessoire, das man sich nur in guten Zeiten leisten kann. Nein, oft ist sie gerade Voraussetzung für eine auswärtige Politik. Aber auch hier müssen wir uns die Frage nach der Kohärenz stellen; denn die Maßnahmen der klassischen Außenpolitik dürfen nicht den Zielen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zuwiderlaufen. Gerade beim Instrument der Sanktionen ist das künftig viel stärker zu bedenken. Es darf doch nicht sein, wie wir es im Fall Iran erlebt haben, dass die verhängten Sanktionen gegen das Regime auch und gerade die Bildungszusammenarbeit zwischen deutschen und iranischen Universitäten unmöglich machen. Dort, wo mit Sanktionen auch zivile, kulturelle und wissenschaftliche Kooperationen getroffen werden, werden die Falschen bestraft, zur Freude des Regimes. Dann läuft etwas falsch.
Im Kultur- und Bildungsaustausch sollten wir die originären Akteure in den Mittelpunkt stellen; denn es sind die Künstler, die Kreativen, die Pädagogen und die Wissenschaftler, die zumeist selbst am besten wissen, wo in den eigenen Bereichen die spannenden Ansätze bestehen und welche Initiativen und Projekte zukunftsträchtig sind. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist also nicht einseitig als Instrument der Cultural Diplomacy zu definieren; denn der Eigensinn von Kunst und Kultur, die kreative Kraft, droht sonst unter die Räder zu geraten. Es geht also nicht vorrangig um Sichtbarkeit, um riesengroße Ausstellungsformate. Ich erinnere mich an die Deutschlandjahre der Vergangenheit zur höheren Ehre der deutschen Wirtschaft. Das ist nicht das, was ich mir unter Auswärtiger Kulturpolitik vorstelle. Es sind die vielen kleineren Formate, Tausende Kulturbegegnungen, das nachhaltig angelegte Alltagsgeschäft der Goethe-Institute und die Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes beispielsweise für Syrerinnen und Syrer, für die Frauen des Arabischen Frühlings, die endlich wieder eine Perspektive brauchen. Das alles ist Humus für die Demokratie und die Menschenrechte. Das sind auch und gerade die deutschen Schulen im Ausland; da kann ich mich Ulla Schmidt voll und ganz anschließen. Denn es geht bei der Vermittlung von Sprache auch um Wertevermittlung. Dafür braucht es die allerbesten Lehrerinnen und Lehrer. Diese brauchen anständige Löhne. Ich hoffe, Frau Böhmer, dass Sie das dem Finanzminister so richtig beibringen.
Doch was sind die neuen großen Herausforderungen und Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik? Wir erleben im Nahen und im Mittleren Osten das Entstehen neuer riesengroßer Städte. Es sind die großen Flüchtlingslager im Libanon, in der Türkei, im Irak, in Jordanien. Wir sollten auch nicht den afrikanischen Kontinent mit Millionen von Flüchtlingen vergessen. Beispielhaft dafür steht das Lager Dadaab in Kenia. Die Menschen in diesen neuen Zeltstädten werden voraussichtlich nicht nur wenige Jahre, sondern wohl eher Jahrzehnte, vielleicht sogar immer dort leben müssen. Das sind die neuen Orte, wo Kultur, wo Bildung Nahrungsmittel für die Menschen bedeuten, wo Bildung und Kunst so wichtig sind wie Wasser und Brot, weil sie helfen können, sich ein neues Leben einzurichten und Traumata zu überwinden.
Deshalb ist es eine großartige Initiative des Goethe-Instituts, in Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen Kultur- und Bildungsprojekte zu realisieren, die besonders Kindern und Jugendlichen, aber auch Künstlern selbst, die zu Flüchtlingen geworden sind, sinnvolle Beschäftigung vermitteln, die das Erlebte verarbeiten helfen und die kreative Alternativen entwickeln. Es geht dabei um den Versuch, zu verhindern, dass durch das aktuelle Flüchtlingselend tatsächlich eine weitere verlorene Generation entsteht.
Auch da, wo Menschen in ihre Heimat zurückkehren können, wie zum Beispiel Erbil, die Hauptstadt des kurdischen Nordirak, bilden die Kulturmittler und die deutschen Auslandsschulen ein zivilisatorisches Fundament für den perspektivischen Wiederaufbau und für die Selbstermächtigung der Menschen. Aber gerade diese Schule ist von der Schließung bedroht, weil die finanzielle Unterstützung fehlt. Da muss etwas passieren.
Also: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik geht dorthin, wo sonst nichts mehr oder noch nichts möglich ist. Sie öffnet Türen, wo politische Diplomatie noch nicht angekommen ist oder wo sie am Ende ist. Sie bereitet Wege, die Begegnungen hin zu Frieden und Aussöhnung ermöglichen, und das muss uns viel, das muss uns sehr viel mehr wert sein.
Vielen Dank.