Die Situation in Kasachstan bereitet mir große Sorgen. Die Rede ist von dutzenden Todesopfern unter den Demonstrierenden und mehreren unter den Sicherheitskräften. Mehr als tausend Menschen wurden schwer verletzt. Seit sechs Tagen gehen hunderttausende Menschen in mehreren Städten auf die Straßen, um gegen die vorherrschenden Verhältnisse zu protestieren. Zwar haben diese mutigen Menschen die aktuellen Preiserhöhungen zum Anlass genommen, aber die Gründe für die Unzufriedenheit der Bevölkerung liegen tiefer, sie sind vielschichtig. Die Menschen protestieren gegen eine autoritär regierende Elite, die in den letzten 30 Jahren überwiegend Selbstbedienung betrieben hat. Die Folgen sind offensichtlich: grassierende Korruption, Vetternwirtschaft, Missmanagement, Inkompetenz der Verantwortlichen und zunehmende Einschränkung von politischen und bürgerlichen Freiheitsrechten.
Die internationale Gemeinschaft sollte deutlich machen, dass sie auf der Seite der friedlichen Demonstrierenden in Kasachstan steht und dass sie die Gewalt in jeder Form klar verurteilt, ob seitens einiger weniger Demonstrierender oder seitens der Sicherheitskräfte. Staatschef Tokajew redet absurderweise von über 20.000 „Terroristen“, die nun „eliminiert“ werden müssten. Er droht Protestierende „zu vernichten“, wenn sie nicht bereit seien, nach Hause zu gehen. Derlei Drohungen sind absolut inakzeptabel. Über die Notwendigkeit von echten Reformen und über die vielfältigen Erwartungen und Forderungen in der Bevölkerung ist hingegen von ihm nichts zu hören.
Das Recht der Menschen auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit wird in diesen Tagen in Kasachstan mit äußerster Härte mit Füßen getreten und buchstäblich zerschossen. Die entstandene innenpolitische Krise wird von befreundeten Autokraten zum Anlass genommen, ihre Allianz auf Kosten von Menschen- und Bürger*innenrechten zu demonstrieren. Die Entsendung von über 2500 Soldaten aus Russland und anderen verbündeten Ländern ist ein Armutszeugnis. Wir dürfen die Menschen in Kasachstan nicht allein lassen. Sie brauchen unsere volle Solidarität und Empathie.