Heute hat der Deutsche Bundestag über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes abgestimmt, um die Bekämpfung der Corona-Pandemie auf eine demokratische und rechtssichere Grundlage zu stellen. Damit werden die Befugnisse der Regierung eingegrenzt und der Deutsche Bundestag in seiner originären Aufgabe, der Gesetzgebung, gestärkt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das parlamentarische Verfahren konstruktiv und kritisch begleitet, konnte gegenüber Union und SPD wichtige Korrekturen durchsetzen, und hat deshalb der Änderung am Infektionsschutzgesetz trotz verbleibender Mängel zugestimmt.
Zu ihrem Abstimmungsverhalten erklärt Claudia Roth:
Wir befinden uns mitten in der zweiten Welle der COVID 19-Pandemie. Um diese zu brechen und eine Überlastung unseres Gesundheitssystems abzuwenden, brauchen wir evidenzbasierte, erforderliche und verhältnismäßige Maßnahmen.
Mit der heutigen Änderung des Infektionsschutzgesetzes definieren wir als Parlament den Zweck, an dem solche Maßnahmen von den Gerichten gemessen werden müssen, nämlich die Wahrung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens.
Wir verpflichten die Bundesländer, ihre Entscheidungen über Maßnahmen zu begründen und befristen die Geltung solcher Rechtsverordnungen auf vier Wochen.
Nach unserer Verfassung sind solche Eingriffe in Grundrechte nur im Rahmen einer gesetzlichen Grundlage möglich. Unsere Verfassung verlangt aber auch, dass diese Grundlage nicht nur der Zustimmung des Bundestags, sondern auch des Bundesrats bedarf.
Daher hat die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen den Konsens über Verbesserungen gesucht: Mit den Bundesländern, in denen wir Verantwortung tragen. Und mit der Koalition.
So konnten über die Pflicht zur Begründung und Befristung der Eingriffe hinaus weitere, für mich wesentliche Verbesserungen gegenüber dem Ursprungsentwurf der Koalition erreicht werden.
So gelten für Untersagungen von Versammlungen und religiösen Zusammenkünften, für Besuchsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern in Zukunft erhöhte Voraussetzungen. Unter allen Umständen muss ein Minimum an sozialen Kontakten gewährleistet bleiben. Der besondere Verfassungsrang von Kunst und Kultur wird anerkannt. Kontaktdaten dürfen nur noch zur Nachverfolgung von Infektionsketten verarbeitet und weitergegeben werden, es wird eine eindeutige Löschfrist festgelegt.
Die epidemische Lage von nationaler Tragweite wird gesetzlich definiert.
Wir legen damit die Grundlage dafür, dass gut begründete, evidenzbasierte, erforderliche Maßnahmen auch einer gerichtlichen Kontrolle standhalten. Das schulden wir all denjenigen, die auf den Intensivstationen und in den Gesundheitsämtern mit dieser zweiten Infektionswelle schwer kämpfen. Nur auf diesem Weg war es möglich, jetzt, während die zweite Infektionswelle gebrochen werden muss, dafür die Grundlagen und Grenzen zu setzen.
Trotzdem gibt es für mich nach wie vor viele Kritikpunkte:
Dem Gesetzentwurf fehlt die Verankerung eines transparenten Stufenplans. Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung vom Covid-19 sollten vorab festgelegt werden und öffentlich kommuniziert werden, damit Bevölkerung und Unternehmen möglichst langfristig in Vorfeld Transparenz und Verlässlichkeit darüber erhalten, welche Maßnahmen bei welcher Inzidenz und anderen Kriterien erlassen werden.
So wäre es richtig gewesen, klar zu formulieren, dass das Kindeswohl eine hohe, besondere Hürde für Einschränkungen für Kinder oder die Schließung von Schulen oder Kitas sein muss. Kinder und Jugendliche brauchen den Kontakt zu anderen Kindern. Kontakt- oder Reisebeschränkungen müssen den Verfassungsrang von Familie, Ehe und Partnerschaft respektieren. Die Arbeitsquarantäne muss abgeschafft werden. Ich streite für eine umfassendere Berichtspflicht der Bundesregierung und einen Pandemierat an der Seite des Bundestags. Damit schaffen wir Voraussetzungen dafür, mit besserer Erkenntnislage auch die gesetzlichen Grundlagen zu verbessern und die Maßnahmen berechenbarer für Bürgerinnen und Bürger zu machen.
Die Schaffung von Akzeptanz erfordert Zwischentöne und ein parlamentarisches Ringen um das Detail. Zur wissenschaftlichen Beratung sollte ein interdisziplinärer Pandemierat eingesetzt werden. Um der Polarisierung der öffentlichen Debatte, der Mobilisierung durch Fake News und der Verwendung von demokratiefeindlichen und antisemitischen Parolen und Vergleichen vorzubeugen, sind Gründlichkeit in der Sache sowie eine transparente Entscheidungsfindung und Kommunikation elementar. Mit dem vorliegenden Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung wird dafür eine Grundlage geschaffen.
Mit der Zustimmung zu dem heutigen ersten Schritt für eine stärkere gesetzliche Einhegung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist die parlamentarische Debatte darüber nicht beendet. Ich werde in den kommenden Wochen dafür streiten, weitere Konkretisierungen und Klarstellungen gesetzlich zu regeln.
(Erklärung der Abgeordneten nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundesages zum Abstimmungsverhalten zu TOP 1 über das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite.)