Als Bundestagsvizepräsidentin durfte ich eines der wohl schönsten Ämter in diesem Land bekleiden. Ich mache dieses Amt aus tiefster Überzeugung, mit Leidenschaft, mit Herz und Haltung für unsere Demokratie. Ein Amt, das in der letzten Legislaturperiode vielleicht so wichtig war wie niemals zuvor.
Das Parlament ist die Herzkammer unserer Demokratie, denn es ist der einzige Ort, der sich unabhängig und direkt auf den Willen der Menschen in unserem Land bezieht. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie enorm wichtig die Rolle des Parlaments ist, gerade in Krisenzeiten. Denn unsere Demokratie, sie ist nicht immun. Darum ist es unsere Aufgabe, gerade auch des Parlaments, jeden Tag aufs Neue für die Demokratie einzustehen und diese weiterzuentwickeln, sie zu beschützen, sie zu stärken und zu verteidigen – ganz besonders gegen die spalterischen Kräfte in und außerhalb der Parlamente.
Ich bin unendlich stolz darauf, eine so vielfältige und lebendige Demokratie repräsentieren zu dürfen. Auch in den kommenden Jahren möchte ich den großen Herausforderungen unserer Demokratie im Präsidium des Bundestags begegnen: Als überzeugte Demokratin und Verfassungsschützerin, als Verteidigerin der Menschenrechte, im steten Einsatz für die Unantastbarkeit der Würde aller.
Darum freue ich mich umso mehr, dass ich heute von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen erneut als Vizepräsidentin des Bundestages nominiert wurde.
Meine Bewerbung an die Mitglieder des 20. Deutschen Bundestages können Sie und könnt Ihr hier lesen:
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat mich als ihre Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin des 20. Deutschen Bundestages nominiert. Hiermit möchte ich Sie um Unterstützung meiner Kandidatur für dieses Amt bitten. Ein Amt, das ich in den vergangenen Jahren aus tiefster Überzeugung, mit Leidenschaft, mit Herz und Haltung für unsere Demokratie ausgeübt habe. Ein Amt, das in der letzten Legislaturperiode vielleicht so wichtig war wie niemals zuvor. Und das auch in den nächsten vier Jahren weiter vor großen Herausforderungen steht.
Das Parlament ist die Herzkammer unserer Demokratie, der Ort, an dem die freien, gewählten Abgeordneten beraten und entscheiden. Und es ist der einzige Ort in unserer Demokratie, der sich unabhängig und direkt auf den Willen der Menschen in unserem Land bezieht. Deshalb hat das Parlament die Pflicht und auch die Möglichkeiten, sich den Menschen hin zu öffnen und sich unterschiedlichen Meinungen und Positionen zu stellen. Ich habe mich als Vizepräsidentin stets dafür eingesetzt, dass die Arbeit des Parlaments stärker Teil der öffentlichen Meinungsbildung wird, dass es mehr einbezieht, dass es weniger über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg debattiert und beschließt, sondern die Wege der Entscheidungsfindung zugänglicher, nachvollziehbarer, offener und transparenter gestaltet. Das war und ist mein Anspruch als Präsidiumsmitglied des Bundestages.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie enorm wichtig die Rolle des Parlaments ist, gerade in Krisenzeiten, und dass es richtig ist, der Exekutive gegenüber als eigenständiges Parlament im Sinne der demokratischen Gewaltenteilung aufzutreten – ganz gleich, wer in der Regierung sitzt. Ich habe als Vizepräsidentin wahrnehmbar und deutlich dafür gestritten, dass das Parlament nicht als Ausschuss der Bundesregierung behandelt wird, dass das Ringen um Lösungen nicht allein von der Exekutive entschieden wird, sondern im Parlament stattfindet, stellvertretend für unsere Gesellschaft. Die öffentliche, sichtbare Debatte, die Rede und Gegenrede, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen im Bundestag sind elementar für unsere freiheitliche Verfassungsordnung. Nur so können wir Entscheidungen legitimieren. Die Legislative ist so viel mehr als ein Bestätigungsorgan der Exekutive. Dafür habe ich immer gekämpft und daran möchte ich auch weiterhin meine Arbeit im Präsidium ausrichten.
Unsere Demokratie ist nicht immun gegen Angriffe ihrer Feinde. 2017 ist erstmals seit 1945 eine zutiefst antidemokratische Partei in den Deutschen Bundestag eingezogen, die seither eine klare Strategie verfolgt. Sie will, dass wir uns gewöhnen: An ihre entgrenzte Sprache, an die ständigen Angriffe auf Minderheiten, an ihre Ideologie der Ungleichwertigkeit; sie versucht unsere Geschichte zu relativieren und die demokratischen Institutionen verächtlich zu machen. Aber daran dürfen wir uns niemals gewöhnen. Als Bundestagsvizepräsidentin habe ich es stets als meine zentrale Aufgabe begriffen, unsere Demokratie jeden Tag aufs Neue zu schützen, zu stärken und zu verteidigen – ganz besonders gegen die spalterischen Kräfte in unserem Parlament.
Dem Versuch, unser politisches System und seine Institutionen zu lähmen und zu schädigen, habe ich mich mit aller Kraft entgegen gestellt: mit einer fairen, aber klaren und konsequenten Anwendung der Geschäftsordnung – ohne Tricks und Sonderregelungen. Die Meinungsfreiheit und die freie Rede sind eines der höchsten Güter, aber es gibt Grenzen, wenn es um Rassismus, Abwertung und Volksverhetzung geht. Diese Grenzen habe ich als Vizepräsidentin stets gesetzt und mit den Kolleginnen und Kollegen im Präsidium immer wieder diskutiert.
Die erschreckenden Bilder von der Erstürmung des Kapitols in Washington oder den Reichsflaggen vor den Türen des Deutschen Bundestages haben uns wieder deutlich vor Augen geführt, dass unsere demokratischen Errungenschaften nicht selbstverständlich, nicht unverletzlich sind. Sie fordern von uns, dass es unsere Aufgabe, gerade auch die Aufgabe des Parlaments ist, jeden Tag aufs Neue für die Demokratie einzustehen, sie zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Ich hoffe, dass Sie mich als überzeugte Demokratin und Verfassungsschützerin, als Verteidigerin der Menschenrechte sowie als Kämpferin für die Rechte von Minderheiten und Benachteiligten, im steten Einsatz für die Unantastbarkeit der Würde aller kennen. In Zeiten, da die fundamentalen Werte unseres Grundgesetzes und selbst der demokratische Grundkonsens unserer Nachkriegsgesellschaft wieder in Frage gestellt werden, ist es von größter Bedeutung, dieses Amt im Sinne der Grundwerte unserer Verfassung und im Sinne des Reichtums der demokratischen Gewaltenteilung zu führen.
Gerade in Zeiten, in denen die Risse in unserer Gesellschaft immer tiefer auseinanderzuklaffen drohen, sehe ich mich auch als Brückenbauerin – im Parlament, in Deutschland und in der Welt. Als Vizepräsidentin habe ich das Privileg, unsere vielfältige Demokratie auch in internationalen Organisationen wie der Interparlamentarischen Union (IPU) oder bei Auslandsreisen zu repräsentieren und aktiv zu vertreten. Auf meinen Reisen als Vizepräsidentin habe ich in zahlreichen Gesprächen unser demokratisches, vielfältiges Deutschland in den internationalen Beziehungen repräsentiert, für die Werte unserer Demokratie und für unsere Erinnerungskultur geworben, habe alte Kontakte gepflegt und neue geknüpft. Vor allem aber habe ich dem interparlamentarischen Austausch einen besonderen Stellenwert eingeräumt. In Zeiten eines wieder erstarkenden autoritären Politikansatzes, bis hinein in europäische Partnerländer, in Zeiten, in denen Parlamentarierinnen und Parlamentarier zahlreicher Staaten wieder verfolgt, in denen Journalistinnen und Künstler eingesperrt und die Zivilgesellschaft an ihrer Arbeit gehindert werden, in solchen Zeiten kommt es mehr denn je auf die Verteidigung der Menschenrechte und die grenzüberschreitende Vernetzung der demokratischen Kräfte an.
Ich habe stets versucht, Gesicht zu zeigen und die Stimme zu erheben gegen jede Form von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, gegen Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit. Denn ich möchte in einem Land leben, in dem kein Mensch Angst haben muss – ob Jude oder Jüdin, Muslim oder Muslima, Sinti, Roma, LGBTIQ*, People of Colour und schwarze Menschen, Obdachlose, Menschen mit Behinderungen. Es ist mir zudem ein großes Anliegen, dass deutsche Politik stets mit der eigenen Verantwortung zusammengedacht wird, darum arbeite ich unter anderem sehr intensiv in der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit. Es geht um das aktive Erinnern in die Gegenwart, für unsere Zukunft.
Über unsere Erinnerungskultur und den Umgang mit den schrecklichen Verbrechen der Nazi-Zeit können wir weltweit in der Konfliktbearbeitung und Versöhnung einen einzigartigen Beitrag leisten. Dasselbe gilt mit Blick auf die immer notwendigere Unterstützung von Demokratinnen und Demokraten weltweit, auf die Stärkung der Zivilgesellschaft, sowie im Einsatz für globale Gerechtigkeit und eine nachhaltige globale Entwicklung. In all diesen Bereichen sehe ich zentrale Aktionsfelder und in keinem dürfen wir die dringende Frage nach Geschlechtergerechtigkeit und einer kompromisslosen Verteidigung von Minderheitenrechten vernachlässigen – in Deutschland und der Welt, online wie offline, solidarisch, heute und in den kommenden vier Jahren.
Ich bin unendlich stolz darauf, eine so vielfältige und lebendige Demokratie repräsentieren zu dürfen. Als langjährige Parlamentarierin sehe ich es auch als meine Aufgabe an, meine Freude und Leidenschaft für unsere Demokratie in die jüngere Generation weiterzutragen, meine Erfahrung weiterzugeben und gleichzeitig meine eigene Perspektive stets weiterzuentwickeln und die vielen spannenden neuen Impulse auf- und anzunehmen.
Über Ihr Vertrauen freue ich mich sehr.
Herzlichst,
Ihre
Claudia Roth
Foto: Robert Günther