Zu Ehren des am 29. Mai 2021 verstorbenen internationalen Künstlers und Streiters für die Menschenrechte sowie Ehrenbürgers der Stadt Nürnberg, Dani Karavan, veranstaltete die Stadt Nürnberg am Sonntag, den 24. Oktober 2021 eine Gedenkfeier. Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, nahm mit einem Grußwort teil.
Das Grußwort können Sie hier nachlesen:
Sehr geehrter Marcus König
sehr geehrter Prof. Dr. Hess,
lieber Romani Rose,
sehr geehrte Musiker*innen
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Nürnberger*innen,
und trotz der Distanz mit dem Herzen ganz nah verbunden verehrte, liebe
Familie Karavan, liebe Hava, Noa und Tamar Karavan!
Es ist mir eine wirklich sehr große Ehre, heute als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages an dieser so wichtigen, so bedeutsamen Gedenkfeier für einen großartigen Künstler und herausragenden Streiter für die Menschenrechte teilnehmen zu dürfen. Einer Feier, um Dani Karavans zu gedenken, um an ihn zu erinnern, um ihn zu ehren und um meiner – unser aller – zutiefst empfundenen Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen. Dankbarkeit, aber auch tiefe Trauer, weil einer der ganz großen Künstler unserer Zeit, ein weltweiter Brückenbauer, ein Mensch mit strahlendem Herzen und leuchtender Menschlichkeit nicht mehr unter uns ist. Und doch, er wird immer mit uns und bei uns bleiben, denn Dani Karavan hat uns reich beschenkt, mit seinem Lebenswerk, mit seiner Kunst, mit seinem dem Frieden, der Freiheit und den Menschenrechten gewidmeten Wirken. Es sind nachhaltige, es sind nachhallende Geschenke für uns alle, für die gesamte Menschheitsgemeinschaft. Geschenke, die uns auffordern, sie als Auftrag an uns zu begreifen. Auftrag, eine lebendige Erinnerungskultur fortzuführen. Auftrag, die Realisierung der Menschenrechte und damit auch die Verteidigung der Würde des Menschen, jedes Menschen, fortwährend und tagtäglich zu unserer höchsten Aufgabe zu machen. Auftrag schließlich für ein Erinnern in die Zukunft.
Dani Karavan, es wäre viel zu kurz gegriffen, ihn nur als Bildhauer zu beschreiben. Er, der in Tel Aviv geborene Sohn polnischer Einwanderer, hat mit seinen raumgreifenden Gesamtkunstwerken die klassischen künstlerischen Genre-Grenzen weit und konsequent überschritten und hat mit seiner beispiellosen ästhetischen Brillanz, mit seiner radikalen Kreativität vermeintlich Trennendes überwunden und uns so neue Räume eröffnet. Dani Karavan, er, der Mitglieder seiner Familie im Holocaust, dem grauenhaftesten Verbrechen, der Shoa verloren hat, er, dem Nazideutschland so viel angetan und so unendlich genommen hat, er hat uns sein Vertrauen geschenkt. Ausdruck dafür sind seine zahlreichen wunderbaren Kunstwerke, die er in und die er für Deutschland geschaffen hat.
Zeit seines Wirkens war er in zugewandter Auseinandersetzung mit dem Land, das verantwortlich ist für so viel Schmerz und Leid in seiner Biografie, in seinem Leben. Für dieses Geschenk, für sein Vertrauen in Veränderung, für sein Vertrauen in ein demokratisches Deutschland, für diesen mutigen Optimismus danke und verneige ich mich vor diesem großen Menschen. Sein Wirken, ja es ist uns Auftrag. Sein Vertrauen, ja es ist uns Verpflichtung. Das ist unser Versprechen an diesem Tag.
Dani Karavan hat der Stadt Nürnberg die Straße der Menschenrechte geschenkt. Nürnberg ehrt ihn als Ehrenbürger. Dani Karavan ehrt Nürnberg mit seinem Kunstwerk. Damit schenkt er Nürnberg Verantwortung. Er hat genau dort 27 Säulen mit eingravierten Menschenrechten errichtet, wo der nationalsozialistische Wahn in Rassegesetze gegossen wurde und wo Reichsparteitage zur Glorifizierung des Unrechtsregimes inszeniert wurden. Nürnberg, wo aber auch mit den Nürnberger Prozessen die Aufarbeitung dieses singulären Verbrechens der Menschheitsgeschichte begonnen wurde. Dani Karavans Straße der Menschenrechte ist das Erinnern in die Zukunft, ist die Umsetzung dessen, was die zwei Worte nach Auschwitz bedeuten: Nie wieder.
Dani Karavans Straße der Menschenrechte versinnbildlicht, dass der Wert eines Menschen nicht von seiner Herkunft, seiner Religion, seiner sexuellen Identität, seiner Hautfarbe bestimmt wird, sondern dass alle Menschen dieselben universellen, unteilbaren, unveräußerlichen Menschenrechte haben. Haben sollten. Diese Menschenrechte müssen aber über 70 Jahre nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aktiv mit Leben gefüllt und vehement verteidigt werden, in einer Welt voller Demokratiefeinde und Rechtsstaatsverächter, einer zerbrechlichen und verletzlichen Welt.
Mit dem Nürnberger Menschenrechtspreis, für den Dani Karavans Wirken durchaus Anstoß war, werden Menschenrechtsverteidiger*innen ausgezeichnet, die Gesicht zeigen und die Stimme erheben gegen jede Form von Rassismus, die ganz im Sinne von Ernst Bloch kämpfen, für die Vision einer Welt des „Noch-Nicht-Seienden“.
Eine aktive Erinnerungskultur, das Erinnern in die Zukunft, der Einsatz für die Menschenrechte, heißt nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern verlangt, das „Nie wieder“ als tiefgreifende Verantwortung in aktives Handeln zu übersetzen, gerade weil auch unsere Demokratie nicht immun ist. Wir Demokraten und Demokratinnen sind gefordert, jeden Tag unsere Demokratie im Sinne von Dani Karavan zu beschützen, zu verteidigen, zu verstärken und uns denen entgegenzustellen, die glauben, einen Schlussstrich ziehen zu können, wo es niemals einen Schlussstrich geben darf. Die versuchen, demokratische Institutionen verächtlich zu machen, die mit ihrer entgrenzten Sprache gezielt Hass und Hetze säen. Und es ist Dani Karavan, der uns warnt, weil er weiß, zuerst kommt das Sagbare, dann das Machbare, dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen. Er ist für mich der wichtigste Gegenwartskünstler, weil er Kunst immer als Grundnahrungsmittel unserer Demokratie begriffen hat. Dani Karavans Lebenswerk ist uns Auftrag, sein Vertrauen ist uns Verpflichtung. Verpflichtung, alles dafür zu tun, dass Menschen ohne Angst in unserem Land leben können. Jüdinnen und Juden, Muslime, Sinti und Roma, BPoC, LGBTIQ, Obdachlose, Verpflichtung, den Reichtum unseres pluralen Wir und unsere Gesellschaft der Vielen demokratisch zu gestalten. Das Erinnern in die Zukunft bedeutet auch, unsere Geschichte an die kommende Generation weiterzugeben, Formen und Wege zu finden, auch ohne Zeitzeug*innen mahnende Zeugnisse lebendig zu halten.
Und genau das tut der Künstler Dani Karavan, genau das schafft seine Kunst und ist dafür ein bedeutender, unverzichtbarer Beitrag. Erinnerungen im öffentlichen Raum, an dem niemand vorbei kommen kann, das ist Teil unseres Seins in der Welt und genau das eröffnet immer wieder die notwendige und die wichtige Auseinandersetzung mit dieser Welt.
Nicht nur in Nürnberg, auch in Berlin hat Dani Karavan uns mit solchen Orten der Auseinandersetzung reich beschenkt. Mit dem Werk „Grundgesetz 1949“ schauen wir auf gläserne Tafeln, auf denen unser Grundgesetz verewigt ist, transparent schwebend, sichtbar mahnend vor den Büros der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der Herzkammer unserer Demokratie. Wenn ich aus meinem Büro schaue, sehe ich aber auch ein anderes so besonderes, so zentrales Werk. Das Denkmal für die im Holocaust ermordeten Sinti und Roma. Dani Karavan, der Jude, überwindet einmal mehr Trennendes und macht so eine andere Opfergruppe des Holocausts sichtbar. Verbindet. Baut Brücken. Aus der Mitte des Mahnmals taucht auf einem schwarzen Kreis täglich eine frische Blume auf. Der Herzschlag dieses heiligen Ortes. Dieses Mahnmal ist Ort tiefer Trauer, ist aber auch Ort der Hoffnung, des niemals unterdrückbaren Menschseins. Es ist von nationaler Bedeutung. Es ist unser moralischer Imperativ. Dani Karavan, er hat sehr viele Mahnmale, Orte mit Bedeutung für unsere Welt, als Geschenk für die ganze Menschheit geschaffen: „Ma’alot“ in Köln, den „Garten der Erinnerung“ in Duisburg, das begehbare Bodenrelief „Misrach“ in Regensburg, die Skulptur „Tzaphon“ vor dem Düsseldorfer Landtag. Zu tiefst bewegend für mich auch die Erinnerung an Walter Benjamin im spanischen Portbou, in Japan sein Werk in Kyoto und in Israel das so bedeutende Negev-Brigadedenkmal in Beerscheva, das „Weiße Stadt“-Denkmal und die Wandreliefs für den Justizpalast in Tel Aviv und den Plenarsaal der Knesset in Jerusalem, oder der von ihm gestaltete Platz vor dem berühmten Habima-Theater in Tel Aviv, der zum Ort der streitbaren und lebendigen Demokratie in Israel geworden ist.
Der Künstler Karavan hat sich eingemischt in die Politik. Denn Kunst und Politik waren für ihn nicht trennbar. Kunst ohne Menschenrechte nicht entfaltbar. Seine wunderbaren, eindringlichen, einmaligen Werke aus Stein, Beton und Stahl, sie verbinden uns mit den Menschenrechten, so scheint es auch für die Ewigkeit. Für all die, die sie gesehen, die sie gespürt, die sie aufgenommen haben und in ihrer ganzen Bedeutung erlebt und verstanden haben, bleiben diese Orte und ihre Botschaften unvergessen.
Am 29.Mai hat die Welt einen herausragenden Künstler verloren. Er war a mentsh. Wir haben ihn verloren, aber seine nachhaltigen und nachhallenden Geschenke sind Geschenke gegen das Vergessen. Dani Karavan, Ihr Vertrauen, es wird uns Verpflichtung sein. Verpflichtung, für Humanität und Frieden einzustehen. Bei uns und überall auf der Welt und jeden Tag.
Vielen Dank.