Der Bundestag hat sich vergangene Woche mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik befasst. In ihrer Rede sagte Claudia Roth, die AKBP sei wertegeleitete Außenpolitik auf individueller Ebene, weil sie Köpfe und Herzen erreiche und damit ganze Welten verändern könne. In dieser Welt bräuchten wir viel mehr dieser Brückenbauer, so Roth. Sprengmeister gäbe es nämlich schon genug.
Die Rede im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir leben in einer Welt, die in Unordnung geraten ist, in der wir die Auflösung der postkolonialen Staatenordnung beobachten, ohne dass wir schon klar erkennen könnten, welche neue Ordnung entsteht. Diese Umordnung der Welt hat ganz konkrete Auswirkungen. 65 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Fürchterliche Kriege und Konflikte sorgen für Leid und Elend, weil der internationalen Gemeinschaft die Mittel und Instrumenten fehlen, aber oftmals auch der Wille, konkrete Lösungen zu erreichen. Das erleben wir gerade in Syrien, wo ein unfassbar brutaler Stellvertreterkrieg Zivilisten zu Tausenden aushungert und tötet, während sich die Weltgemeinschaft gegenseitig blockiert. Oder wir erleben es im Jemen, dessen Horror fast überhaupt nicht wahrgenommen wird. Staaten zerfallen. Terror gefährdet Frieden, und in vielen Ländern wendet man sich einem autoritären und nationalistischen Albtraum zu, als wäre das die richtige Antwort in einer globalisierten Welt.
Einige mögen sich jetzt fragen: Was kann in einer solchen Welt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ausrichten? Ist das nicht Nischenpolitik für Kulturromantiker, für Träumer, ein dekoratives Sahnehäubchen, vor allem etwas für das gute Gewissen? – Nein!
Ich sage Ihnen: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist Realpolitik. Wenn Kanäle der klassischen Diplomatie verschlossen und Kontakte eingefroren sind, wenn Hoffnungslosigkeit um sich greift, wenn am Verhandlungstisch nur Blockade und in der Heimat nur Verderben herrschen, dann braucht es neue Wege, andere Zugänge. Dann braucht es genau diese soft power for hard politics.
Die soft power, von der wir hier sprechen, nutzt Kunst und Kultur. Sie nutzt Bildung und Sport und zielt damit genau auf die Menschen. Damit vermitteln wir die Werte, die uns wichtig sind und von denen wir überzeugt sind, dass sie die Welt zu einem besseren Ort machen. Es sind die Werte einer toleranten, einer vielfältigen, einer offenen Gesellschaft, die Demokratie und Menschenrechte, die Frieden und Entwicklung, die internationale Kooperation und Solidarität in den Mittelpunkt stellt. Damit richtet sich die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht so sehr an ganze Gesellschaften oder an Regime oder an bestimmte Machtkonstellationen, sondern sie stellt den Menschen, seine Werte und seine Entwicklung in den Mittelpunkt.
Getreu dem Motto der UNESCO entstehen Kriege im Geist der Menschen. Deswegen muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.
Es geht bei der AKBP sozusagen um wertegeleitete Außenpolitik auf individueller Ebene, weil sie Köpfe und Herzen erreicht und damit ganze Welten verändern kann. Durch die Brückenbauer der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wird oftmals Vertrauen wiederhergestellt und damit erst die Voraussetzung für die klassische Außenpolitik geschaffen. Ich sage Ihnen: Wir brauchen in dieser Welt viel mehr Brückenbauer. Sprengmeister gibt es nämlich schon genug.
Diese Art der zivilen Krisenprävention und der Deeskalation, diese Friedens- und Demokratiepolitik hat viele Akteure: die Mittlerorganisationen, die vor Ort Menschen erreichen und damit Türen öffnen, die politischen Stiftungen, die die Zivilgesellschaft stärken, Initiativen, NGOs, Künstlerinnen und Künstler, Kreative, Pädagogen, Wissenschaftler, die alle mit viel Engagement und mit wenig Geld Menschen zusammenbringen und immer wieder dorthin gehen, wo es wirklich wehtut, das Auswärtige Amt, das diese dritte Säule der Außenpolitik kontinuierlich fördert und unterstützt, und nicht zuletzt auch unser sehr engagierter Unterausschuss hier im Bundestag.
Ich möchte an dieser Stelle die Mittlerorganisationen einmal nennen, weil man sie für ihre Arbeit gar nicht genug ehren kann:
das Goethe-Institut, das mit 159 Instituten weltweit Schutzräume sowie Raum für kritische Gedanken schafft und sich seit 2013 in den neu entstandenen großen Städten des Nahen Ostens, in den großen Flüchtlingslagern mit konkreten Kultur- und Bildungsprojekten dafür engagiert, dass keine weiteren verlorenen Generationen entstehen;
die Auslandsschulen, die Menschen und Gesellschaften verbinden und Leuchttürme für Demokratie sein können;
das Institut für Auslandsbeziehungen;
die Deutsche Welle mitsamt ihrer Akademie, die – etwa mit der Sendung Shababtalk oder dem Onlineportal Qantara, das sind wichtige Plattformen für den Austausch mit der arabischen bzw. islamischen Welt – ein Wegbereiter für Toleranz und Meinungsfreiheit ist;
das Deutsche Archäologische Institut, das mit dem Projekt „Stunde Null“ eine ‑ wie Frank-Walter Steinmeier ja gesagt hat ‑ wichtige Voraussetzung für den hoffentlich möglichen Wiederaufbau Syriens leistet;
der DAAD mit seinen Stipendienprogrammen, die gerade für Schwellen- und Krisenländer ausgebaut werden;
die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative Albert Einstein, die Geflüchteten ein Studium ermöglicht sowie
die Alexander-von-Humboldt-Stiftung mit ihrer Initiative zur Unterstützung gefährdeter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Ihnen gebührt Anerkennung und Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zu Beginn beschriebene Zustand der Welt erschwert aber leider erheblich die Arbeit der AKBP. So schränken immer mehr Staaten die Meinungs-, die Presse-, die Versammlungs-, die Kunst- und die Lehrfreiheit dramatisch ein. Akteure der Zivilgesellschaft, Künstler, Wissenschaftler, Journalisten und Blogger werden mit NGO-Gesetzen in über 60 Staaten kriminalisiert und ihrer Handlungsräume beraubt.
All das passiert jedoch längst nicht mehr nur in Diktaturen oder autoritären Regimen wie etwa in Ägypten oder in Russland, sondern es geschieht zunehmend auch in Demokratien, zum Beispiel in Lateinamerika oder auch in Israel. Man könnte nun ein wenig zynisch sagen, dass die Angst der Staatschefs vor der Zivilgesellschaft ja erst zeigt, welche Kraft, welchen Einfluss und welche Macht zivilgesellschaftliches Handeln entfalten kann. Aber diese Entwicklung muss uns aufschrecken, und wir müssen wirklich alle Anstrengungen verstärken, um Zivilgesellschaft auch und gerade über die Mittel der AKBP zu stärken.
Gleichfalls besorgniserregend sind Berichte, wonach das kulturelle Erbe der Menschheit weltweit immer stärker in Gefahr ist. Gerade in Syrien, im Irak, im Jemen und in Afghanistan droht der kulturelle Ausverkauf, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses sowie der Verlust und die Zerstörung der kulturellen Wurzeln. Deswegen war es so wichtig, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag vor zwei Tagen ein historisches Urteil sprach und zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Angeklagten wegen der Zerstörung von Weltkulturerbestätten der Kriegsverbrechen für schuldig befunden hat. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda nannte die Vernichtung von neun mittelalterlichen Heiliggräbern und einer Moschee im malischen Timbuktu einen feigen Angriff auf die Würde und die Identität ganzer Völker.
Damit machte sie klar, was auf dem Spiel steht, wenn Kulturgüter zerstört, geraubt und geplündert oder als bloße Geldanlage missbraucht werden. Auch dieses Urteil, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist high politics.
Lassen Sie mich, bitte, zum Schluss noch eine weitere Aufgabe nennen, die mir, die uns besonders am Herzen liegen muss und auch liegt. Das ist die lebendige Erinnerungskultur. Wir können mit unserer Expertise, durch unsere Erfahrung mit der Aufarbeitung der Shoah und der Verbrechen der Nationalsozialisten vielen Gesellschaften nach der Überwindung von Diktaturen beim Aufbau einer eigenen Erinnerungskultur zur Seite stehen. Genauso müssen aber auch wir selbst weiter an unserer deutschen Geschichte arbeiten, die ja gerade schlimmste Verbrechen in anderen Ländern beinhaltet. Ich nenne als Stichworte den Genozid an den Herero und Nama in Namibia.
Ich nenne die Mitschuld am Völkermord an den Armeniern. Ich nenne die Verbrechen der Nationalsozialisten und der Wehrmacht in Griechenland, in Italien oder dieses schreckliche Massaker heute vor 75 Jahren in Babi Jar in der Ukraine. Auch hier kann die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Wege aufzeigen, wie wir mit diesem schrecklichen Erbe umgehen können und umgehen müssen, wie wir Verantwortung übernehmen und so ein Erinnern in die Zukunft erst ermöglichen.
Wir sollten die Kraft der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gerade in diesen schwierigen, harten Zeiten nicht unterschätzen. Deshalb muss sie uns im wahrsten Sinne des Wortes sehr viel wert sein.
Vielen Dank.