Anlässlich des Weltflüchtlingstages erklärt Claudia Roth:
Mehr als 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, innerhalb ihres Landes und darüber hinaus. Seit Gründung des UN-Flüchtlingshilfswerks war die Zahl nie höher. Kriege und Konflikte, die Auswirkungen der Klimakrise, politische Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen, bitterste Armut – die Liste der vordergründigen Fluchtursachen ist lang. Letztlich aber müssen wir grundlegend feststellen: Wir als internationale Gemeinschaft scheitern daran, ein Leben in Würde für alle innerhalb der planetaren Grenzen zu ermöglichen.
Es ist eine Frage von Zufall und Glück, an welchem Ort, mit welchen Privilegien wir zur Welt kommen. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren, heißt es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Realität aber sieht anders aus. Und doch: Nicht weniger darf unser Ziel sein – gerade in Zeiten, da Rassismus und Ausgrenzung gezielt von denen befeuert werden, die meinen, die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit Nationalismus und Stacheldraht beantworten zu können. Wir alle sind Teil derselben Menschheit, wir alle tragen Verantwortung für das Wohlergehen der anderen. Weder Schlagbäume noch Grenzzäune können daran etwas ändern.
Statt Mauern der Abschottung brauchen wir Brücken der Solidarität. Das gilt an vielen Orten, insbesondere aber an den Außengrenzen der Europäischen Union. Längst ist das Mittelmeer zu einem Meer des Todes verkommen: Seit 2014 haben über 12.000 Menschen ihr Leben im Mittelmeer verloren. Dennoch verweigern sich die europäischen Regierungen auch weiterhin einer zivilen Seenotrettung. Stattdessen unterstützen sie brutalste Grenzschützer in Nordafrika und lassen diejenigen Geflüchteten, die nicht ertrinken, zurück in die Hölle von Libyen verschleppen. Die Schande europäischer Flüchtlingspolitik, sie währt ungemindert fort.
Einzig die Mitstreiterinnen und Mitstreiter der zivilen Seenotrettung verteidigen auf dem Mittelmeer die Menschenrechte. Zum Dank werden sie vom italienischen Innenminister vor Gericht gezerrt. Nicht nur am heutigen Weltflüchtlingstag muss deshalb gelten: Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung gehört beendet! Vielmehr braucht es alternative Zugangswege, faire Verfahren, eine gerechte Verteilung. Und ganz konkret: die Aufnahme der 43 geflüchteten Menschen, die derzeit noch in internationalen Gewässern vor Italien auf der Sea-Watch 3 ausharren müssen. Rottenburg, Kiel und Berlin haben sich dazu bereit erklärt – und viele deutscher Städte und Kommunen wollen sichere Häfen sein. Sie alle warten auf den Innenminister. Wie so oft.