Gastbeitrag von Katrin Göring-Eckardt und Claudia Roth
Vor wenigen Tagen schlug die Regierung Ugandas Alarm. Das Vorzeigeland Afrikas in Sachen Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen stößt an eine Grenze. Allerdings nicht an die der Aufnahmebereitschaft, wie Premierminister Ruhakana Rugunda betont. Nach wie vor würden alle Nachbarn in Notlage willkommen geheißen. Vielmehr braucht das Land dringend finanzielle Hilfen der internationalen Gemeinschaft. 570.000 Flüchtlinge haben sich allein in den vergangenen Monaten aus dem Südsudan nach Uganda gerettet; Tendenz steigend. Erschöpft erreichen sie nach tagelanger Flucht das eigentlich fruchtbare Land, das als „Gemüsegarten der Region“ gilt. Doch die schlimmste Dürre in Ostafrika seit fünfzig Jahren hat auch Uganda getroffen. El Nino hat im vergangenen Jahr die Ernten vernichtet. Lebensmittel sind immer noch knapp und deshalb teuer. Das trifft die Flüchtlinge besonders hart: Nur noch Kinder und Alte erhalten eine volle Essensration am Tag, Wasser gibt es nur wenig.
Westliche Regierungen verlieren sich derweil lieber in Aufrüstungs- und Abschottungsdebatten, als den Schutz und die Versorgung der Betroffenen der schlimmsten Krisen unserer Zeit sicherzustellen. Unser Vergessen von scheinbar weit entfernten Notlagen tötet täglich Menschen. Wir verweigern ihnen unsere Aufmerksamkeit, unsere Hilfe – und schauen dabei zu, wie der Nährboden für die Kriege, regionalen Krisen und Fluchtbewegungen der Zukunft gelegt wird.
Die Vereinten Nationen sehen in den nächsten sechs Monaten mehr als zwanzig Millionen Menschen im Südsudan, in Nigeria, Somalia und dem Jemen akut von Hungersnot bedroht. Von den vier Milliarden Euro, die UN-Generalsekretär Antonio Guterres als akuten Hilfsbedarf gefordert hat, sind gerade einmal zehn Prozent eingegangen. Weltweit werden 2017 über zwanzig Milliarden Euro für humanitäre Hilfe benötigt – der höchste Bedarf seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch die Bundesregierung wird sich hier beteiligen, aber wie immer: spät, Tranche für Tranche, unberechenbar.
Ein Blick zurück zeigt, welche Folgen dieses Zögern haben kann: Seit nunmehr sechs Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien. 13,5 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Viel zu spät wurde humanitär reagiert – erst 2015, als immer mehr Flüchtlinge nach Europa kamen. Dem Welternährungsprogramm fehlte da längst das Geld, in den Flüchtlingslagern wurden Essensrationen zunächst halbiert, dann ganz eingestellt. Die hungersnotähnlichen Zustände zwangen viele zur Weiterflucht.
Solche Zustände können vermieden werden, wenn rechtzeitig gehandelt wird. Die Zeit drängt, mal wieder: Im Südsudan herrscht seit 2013 Bürgerkrieg. Das letzte Friedensabkommen platzte im vergangenen Jahr. Seitdem regiert vielerorts die Gewalt. Jeder Dritte musste bereits fliehen. Fast fünf Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. In weiten Teilen droht eine Hungersnot. Manche Experten sehen das Land an der Schwelle zum Völkermord. Die UN berichten von ethnischen Säuberungen und Massenvergewaltigungen „epischen Ausmaßes“. Sie warnen vor Zuständen wie 1994 in Ruanda. Dennoch fehlt der humanitären Hilfe auch im Südsudan das Geld. Die Bundesregierung hat für 2017 gerade einmal vierzig Millionen Euro eingeplant.
Dabei steht fest: Die internationale Gemeinschaft kann flächendeckende Hungersnot und schlimmste Katstrophen verhindern. Dazu muss sie aber rechtzeitig ihre Verantwortung anerkennen und aktiv werden. Jeder Euro extra rettet Menschenleben und kann ganze Regionen stabilisieren. Wegzuschauen, bis die Geflüchteten nach Europa kommen, ist hingegen kurzsichtig, unverantwortlich und für viele Menschen tödlich.
Die von den UN geforderten vier Milliarden Euro könnten jetzt und heute das Schlimmste abwenden. Zum Vergleich: Vier Milliarden Euro sind ein Zehntel des jährlichen deutschen Verteidigungshaushalts – dessen Aufstockung Angela Merkel bei ihrem Trump-Besuch kürzlich aufs Neue versprach. Rüstungsspiralen tragen jedoch nichts dazu bei, die zahlreichen Krisen in der Sahelzone und im Nahen Osten zu lösen. Im Gegenteil.
Die Weltgemeinschaft muss den humanitären Bedarf der UN erfüllen. Und zwar nicht erst nach wiederholten Apellen, Sondergipfeln – und auch dann nur in Teilen. Das gilt auch für Deutschland: Die Bundesregierung sollte zu jedem Jahresanfang ihren Anteil am aktuellen Bedarf finanzieren – ohne Wenn und Aber. Deutschland kann und sollte hier vorangehen und eine humanitäre Führungsrolle einnehmen, zumal die USA unter Präsident Trump als verlässlicher Partner wegzufallen drohen. Um diesen Paradigmenwechsel einzuläuten, fordern wir ein klares Signal: Die Bundesregierung sollte sich umgehend mit einer Milliarde Euro am Nothilfeaufruf der UN beteiligen. Die Menschen brauchen jetzt Hilfe – nicht am Ende des Haushaltsjahres. Es könnte der Beginn eines selbstbewussten humanitären Versprechens von Deutschland und der internationalen Gemeinschaft sein. Ein Versprechen gegen das Vergessen. Denn Vergessen tötet.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. April 2017