Zu den am Sonntag stattfindenden Parlamentswahlen in der Türkei erklärt Claudia Roth MdB:
„Die kommenden Parlamentswahlen in der Türkei sind entscheidend und richtungsweisend für die Zukunft des Landes, den Frieden in der Region und die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Im Wahlkampf ist die innere Zerrissenheit des Landes offensichtlich geworden. Diese ist zum erheblichen Teil auf die spalterische Politik von Recep Tayyip Erdoğan in den vergangenen Jahren zurückzuführen.
Mit seinem autokratischen Politikstil und mit der gezielten Ausgrenzung von großen Teilen der türkischen Gesellschaft ist er für die heutigen Spannungen in der Türkei und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft mitverantwortlich. Seine Außenpolitik ist gescheitert. Das zu Beginn seiner Amtszeit formulierte Ziel, mit allen Nachbarn in Frieden leben zu wollen, konnte Erdoğan nicht einhalten – stattdessen hat er in zahlreichen Konflikten mit einer ideologischen Politik weiter Öl ins Feuer gegossen.
Erdogans Verhalten im laufenden Wahlkampf mit mehreren Wahlkampfreden pro Tag zugunsten seiner AKP steht gegen die immer noch geltende türkische Verfassung und ist dem neutralen Präsidentenamt unwürdig. Dieses belegt erneut, dass es ihm nicht um die Zukunft des Landes und nicht um das Wohl aller Menschen in der Türkei geht, sondern nur um den Erhalt und Ausbau seiner persönlichen Macht. Mit seinen direkten Drohungen an die Adresse der kritischen Presse wird seine immer stärker werdende Abneigung gegenüber der Meinungsfreiheit deutlich.
Aus heutiger Sicht wird klar, warum Erdoğans AKP in den vergangenen Jahren kein ernsthaftes Interesse gezeigt hat, die demokratiefeindliche Zehn-Prozent-Hürde bei Parlamentswahlen zu reformieren. Sie führt dazu, dass breiten Teilen der türkischen Gesellschaft die Gelegenheit genommen wird, entsprechend im Parlament repräsentiert zu sein.
Für den Ausgang dieser Wahlen ist entscheidend, ob die HDP den Einzug ins Parlament schafft. Die reale Chance, damit die absolute Mehrheit der AKP zu verhindern, würde die Demokratie in der Türkei stärken. Das würde allen Menschen, unabhängig ihrer politischen Präferenzen und ihrer ethnischen und religiösen Herkunft, am Ende nutzen. Eine verfassungsändernde Mehrheit für die AKP dagegen würde große Teile der türkischen Gesellschaft außen vor lassen und einem weiteren, autokratischen Machtausbau Erdoğans den Weg bereiten.
Die internationale Gemeinschaft und vor allem die EU haben ein großes Interesse an einer demokratischen Wahl, bei der alle Parteien die gleichen Chancen haben. Nur eine demokratische und zuverlässige Regierung in der Türkei ist ein echter Partner bei Friedensbemühungen in der Nahostregion und für eine glaubwürdige Fortführung des EU-Beitrittsprozesses.“