Zum Ergebnis des türkischen Referendums erklären Cem Özdemir, MdB und Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Claudia Roth, MdB und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages:
„Das Ja zum Referendum läutet das vorläufige Ende von Demokratie und Rechtstaatlichkeit in der Türkei ein. Es braucht nun eine grundlegende Neuvermessung der deutsch-türkischen Beziehungen: Alles politische Handeln muss konsequent auf die Unterstützung der verbleibenden demokratischen Kräfte in der Türkei ausgerichtet werden. Die Türkei ist auch nach dem Referendum nicht Erdogan, Erdogan ist nicht die Türkei. Mehr denn je müssen Deutschland und Europa gegenüber Ankara klare Kante für Demokratie und Menschenrechte zeigen, sich aus bestehenden Abhängigkeiten lösen und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.
Das bedeutet konkret: Alle deutschen Rüstungsexporte in die Türkei müssen jetzt umgehend gestoppt werden. Der Abzug der Bundeswehr aus Incirlik ist schon lange überfällig. Und solange die türkische Regierung keine glaubwürdige Kehrtwende zurück zu Demokratie und Rechtstaatlichkeit vollzieht, muss gelten: keine Aufnahme der Gespräche um eine Ausweitung der türkisch-europäischen Zollunion; keine deutschen Finanzhilfen zur Abfederung der Wirtschaftskrise; und europäische Heranführungshilfen ausschließlich an zivilgesellschaftliche, pro-demokratische Organisationen.
In der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik müssen endlich wieder die Menschen in den Vordergrund rücken. Die Türkei hat über drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Deren Versorgung nach humanitären Standards muss oberste Priorität haben. Es braucht dringend Kontingente zur Entlastung der dortigen Strukturen. Das Flüchtlings-Abkommen mit der Türkei hat die EU erpressbar gemacht. Diesen EU-Türkei-Deal wollen wir beenden. Stattdessen müssen wir uns endlich auf eine eigenständige europäische Lösung verständigen, die zwei Grundpfeiler hat: die Einhaltung der Menschenrechte und die Solidarität unter den Mitgliedstaaten.
Praktisch liegen die Beitrittsgespräche mit der Türkei bereits auf Eis. Die EU-Mitgliedstaaten müssen diesen Zustand nun offiziell bestätigen und eine Wiederaufnahme der Verhandlungen an strenge, messbare Bedingungen knüpfen. Ein EU-Beitritt der Türkei ist mit der Umsetzung der geplanten Verfassungsreform und unter Erdogan nicht vorstellbar. Zugleich gilt: Für eine demokratische und weltoffene Türkei müssen die Türen zur EU offen bleiben. Ein formaler Abbruch der Beitrittsgespräche wäre deshalb falsch. Die vielen pro-europäischen Kräfte in der Türkei brauchen dieses Signal und unsere Unterstützung jetzt mehr denn je.“