Zur flüchtlingspolitischen Debatte im heute beginnenden Europäischen Rat erklären Luise Amtsberg, Sprecherin für Flüchtlingspolitik, und Claudia Roth MdB:
„Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vollziehen derzeit die vollständige Abschottung der EU zu Lasten von Menschen auf der Flucht, denen jeder Schutz künftig verwehrt wird. Die Kommission plant 16 weitere sogenannte Partnerschaftsabkommen mit Drittstaaten nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals, darunter auch mit diktatorischen Regimen wie dem Sudan oder Äthiopien, die selbst von staatlicher Seite die Menschen in die Flucht treiben.
Die ersten Abkommen sollen noch bis Ende dieses Jahres unter Dach und Fach gebracht werden. Wie die EU-Kommission in ihrem ersten Bericht zum Umsetzungsstand der Partnerschaftsabkommen in schamloser Offenheit referiert, soll unter Einsatz aller zur Verfügung stehender Mittel Druck auf die Partnerstaaten ausgeübt werden. Mit anderen Worten: Die EU droht mit dem Entzug von Entwicklungsgeldern oder Handelspartnerschaften, wenn von den Partnerstaaten keine schärferen Grenzkontrollen durchgeführt oder keine Flüchtlinge zurück genommen werden.
Nicht die Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort, also eine echte Fluchtursachenbekämpfung, ist das Ziel einer solchen Politik, sondern das noch heftigere Knebeln unserer südlichen Partner, die gezwungen werden, Flüchtinge von Europa fern zu halten. Wie das diejenigen Staaten umsetzen werden, die durch gravierende Menschenrechtsverletzungen selbst für Fluchtgründe verantwortlich sind, ist leicht und schauerlich vorhersehbar. Es ist ein Skandal, dass Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Afrika-Reise den Eindruck erwecken konnte, unserem Nachbarkontinent neue Entwicklungsperspektiven eröffnen zu wollen, sie gleichzeitig aber in Brüssel an der Verschärfung der globalen Ungleichheit weiterarbeitet.
Die EU-Mitgliedstaaten steuern nun auf die Abschottung und die de facto Auslagerung der Flüchtlingsabwehr vor die Tore Europas zu. Geflüchtete werden der Willkür von Diktatoren ausgeliefert, während die Mitgliedsstaaten der EU bewusst nach dem Prinzip verfahren: „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Das ist schlicht zynisch. Entwicklungszusammenarbeit ist kein Erpressungsinstrument, sondern dient dazu, Menschen weltweit ein Leben in Frieden und Würde zu ermöglichen.
Wir fordern von der Bundesregierung eine Umkehr ihrer Politik. Nicht die Militarisierung der Entwicklungspolitik oder ihr Missbrauch als Instrument der Abschottung führt zu weniger Flüchtlingen, sondern nur die konsequente und nachhaltige Fluchtursachenbekämpfung. Wir brauchen außerdem endlich legale Zugangswege, Erleichterungen beim Familiennachzug und mehr Anstrengungen bei der Seenotrettung. Der Europäische Rat sollte die Leitlinien europäischer Außen- und Entwicklungspolitik ernst nehmen und nicht die Menschen, sondern deren Fluchtgründe, bekämpfen.“