Zu den Meldungen, nach denen der türkische Präsident Erdoğan den Friedenprozess mit den Kurden beendet hat, erklärt Claudia Roth MdB:
„Die Aufkündigung des mühsam erarbeiteten Friedensprozesses durch Präsident Erdoğan ist unverantwortlich und ein schwerer Rückschlag für die demokratische Türkei. Jetzt wird glasklar, dass es der Regierung in Ankara in erster Linie nicht darum geht den IS zu bekämpfen, sondern vor allem darum die Kurden zu schwächen. Erdoğan verfolgt mit seinem Krieg jeder gegen jeden eine Kamikazestrategie, um bei Neuwahlen die er offensichtlich anstrebt, die verhasste HDP aus dem Parlament zu drängen. Der Mann der eigentlich Präsident aller Bürger in der Türkei ist, spaltet wo er einen sollte und verfolgt damit vor allem seine eigenen Allmachtsphantasien weiter.
Diese Kehrtwende in der Kurdenpolitik kann dramatische innenpolitische Folgen in der Türkei haben und sich auch auf Deutschland und andere Länder auswirken. Die Anschläge der PKK verurteilen wir aufs Schärfste. Doch die Antwort auf Gewalt kann nicht noch mehr Gewalt sein, sondern nur die Rückkehr zum Verhandlungstisch.
Mit viel Hoffnung verfolgten Türken, Kurden und Menschen überall auf der Welt den von Erdoğan selber angestoßenen türkisch-kurdischen Friedensprozess. Jetzt drohen alle Träume von einem friedlichen Miteinander in der Türkei in Flammen aufzugehen. Der Eindruck drängt sich auf, dass Erdoğan den Friedensprozess nur begonnen hat, um die Stimmen der Kurden zu bekommen. Da diese nun aber in einer demokratischen Wahl, wie viele andere Nichtkurden, die für eine offene, demokratisch und europäische Türkei eintreten, eine andere Partei gewählt haben, kehrt Erdoğan zurück zu militärischer Gewalt und Polarisierung um seine egoistischen Ziele zu erreichen.
Durch den Einzug der links ausgerichteten Minderheitenpartei HDP ins türkische Parlament bei den Wahlen im Mai hat die AKP von Präsident Erdoğan nicht nur ihre absolute Mehrheit verloren, sondern auch die angestrebte Zweidrittelmehrheit verpasst. Mit dieser sollte die Verfassung der Türkei zu einem Präsidialsystem umgebaut werden, das einzig und allein auf Erdoğan zugeschnitten sein soll. Bei wahrscheinlichen Neuwahlen hofft Erdoğan jetzt die HDP wieder aus dem Parlament drängen zu können, indem er die Kurden diskreditiert und kriminalisiert.
Deutschland und die NATO dürfen diese Strategie Erdoğans auf keinen Fall mittragen. Wir erwarten heute beim NATO-Gipfel scharfe Kritik der Bündnispartner und politischen Druck auf die Türkei, damit diese endlich eine konstruktive Rolle bei den zahlreichen Konflikten der Region übernimmt.“