Zu den Verhandlungen mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan erklärt Claudia Roth MdB:
„Die Gespräche der EU mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan über das Flüchtlingselend in Europa haben eines deutlich offenbart: Die ausschließende Türkei-Politik der EU der letzten Jahre ist auf voller Linie gescheitert. Es rächt sich nun bitter, dass man jahrzehntelang die Türkei auf Abstand gehalten hat. Gerade auf deutschen Wunsch hin wurden die Beitrittsverhandlungen mit dem Land am Bosporus immer wieder verschleppt und gerade zu einem Zeitpunkt auf dem Level einer sogenannten ,privilegierten Partnerschaft‘ eingefroren, als die Türkei auf dem Weg zu einer modernen Demokratie westlichen Zuschnitts war. Nun, in einer Zeit, in der Staatschef Erdoğan die Türkei zu einer Autokratie umbauen will und einen neuerlichen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung begonnen hat, nun ausgerechnet bittet die EU denselben Erdoğan um ,Hilfe‘ in der Fluchtkrise. Es ist zynisch, keine Annäherung bei Demokratie und Menschenrechten zu forcieren, dann aber bei Fragen der Fluchtabwehr zu kooperieren. Mit ernstgemeinten EU-Beitrittsverhandlungen hat die EU dagegen einen Hebel in der Hand, die Demokratie und die rechtsstaatlichen Kräfte in der Türkei zu stärken.
Deutschland und die EU setzen ihrer gescheiterten Politik gegenüber der Türkei jetzt aber noch die Krone auf mit einem dreckigen Deal, der die Türkei zum EU-Auffangbecken für Flüchtlinge machen soll. Im Gegenzug erhält Erdoğan freie Hand bei der weiteren Unterdrückung von Minderheiten und der Einschränkung des Rechtsstaates sowie freiheitlicher Bürgerrechte. Die bevorstehende europaweite Einstufung der Türkei als ,sicheres Herkunftsland‘ wird dann zum Aushängeschild dieser verqueren Politik.
Es ist ein Skandal, dass die EU jahrelang bewusst weg geschaut hat nicht nur, was die innenpolitische Entwicklung in der Türkei betrifft, sondern auch bezogen auf die Situation und das Leid in den türkischen Flüchtlingslagern. Mit 2,5 Millionen Flüchtlingen hat die Türkei so viele geflüchtete Menschen aufgenommen wie kein anderes Land der Erde. Das muss gewürdigt werden und dafür braucht das Land humanitäre Unterstützung. Aber erst jetzt, wo ein Teil dieser Menschen auch in der EU ankommt, wollen Deutschland und die anderen EU-Staaten sich um deren Versorgung vor Ort kümmern, damit im Ergebnis dann weniger hier her kommen. Das ist erbärmlich.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene gegen solch unlautere Vereinbarungen mit Recep Tayyip Erdoğan auszusprechen, die Einstufung der Türkei als ,sicheres Herkunftsland‘ zu verhindern und eine Initiative für die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vor allem in den Bereichen Justiz und Grundrechte zu starten.“