Rede von Claudia Roth anlässlich von „ZEIG DICH AUX“, einem Projekt des Bündnisses für Menschenwürde, mit Unterstützung des Stadtjugendrings am 30. Juni 2018, Rathausplatz, Augsburg.
(Es gilt das gesprochene Wort)
Liebe Demokratinnen und Demokraten,
liebe Augsburgerinnen und Augsburger,
geschätzter Oberbürgermeister Kurt Gribl,
liebe Mitglieder des Bündnisses für Menschenwürde und des Stadtjugendrings,
liebe Freundinnen und Freunde.
Ich freue mich wirklich sehr, ein so breites und vielfältiges Bündnis hier in Augsburg begrüßen zu dürfen – so viele Menschen, denen es am Herzen liegt, Gesicht zu zeigen gegen Hass und Hetze; kreativ, laut und friedlich; für Demokratie, für den Rechtsstaat.
Heute ist unser Tag der Menschenwürde, liebe Freundinnen und Freunde!
Und wir kommen nicht irgendwo zusammen.
Augsburg, mein Wahlkreis als Abgeordnete im Deutschen Bundestag, ist eine Stadt, in der Multi-Kulti längst selbstverständlicher Alltag ist.
Über 45 Prozent der Augsburgerinnen und Augsburger haben einen Migrationshintergrund.
In Augsburg leben wunderbare Menschen aus über 160 Nationen, sie alle sind Teil unseres vielfältigen bunt-bayerisch-schwäbischen Zuhauses.
Augsburg, die Stadt des Religionsfriedens, beweist tagtäglich, dass die offene Gesellschaft eben nicht gescheitert, sondern längst Lebenswirklichkeit ist – eine Realität, die uns auch mal vor Herausforderungen stellt, die uns zugleich aber unendlich stark und reich macht.
Was derzeit aber auch hier in Deutschland verhandelt wird, stellt diesen Reichtum, stellt den gesellschaftlichen Zusammenhalt grundlegend in Frage.
Immer häufiger geht es nicht mehr darum, WIE wir unsere Demokratie konkret ausgestalten, sondern ob der Grundsatz einer freiheitlichen, einer emanzipatorischen, einer verfassungstreuen Demokratie in Deutschland und Europa überhaupt noch gilt.
Der Vorrang europäischer Kooperation vor nationalem Egoismus, die Grundfesten des internationalen Völkerrechts, die Errungenschaften der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – all das steht massiv unter Beschuss.
Viktor Orbán sagt da offen in einer Rede, er wolle nicht, dass die weiße Hautfarbe in Ungarn „mit der von anderen Menschen vermischt“ werde.
Der italienische Innenminister fordert eine Zählung von Roma in seinem Land, und bezeichnet Geflüchtete in Seenot als „Menschenfleisch“.
Und in den USA müssen wir ernsthaft wieder darüber reden, dass es nicht hinnehmbar ist, wenn Kinder in Käfige gesperrt werden.
All das ist erbärmlich und weckt die schlimmsten Erinnerungen, aber auch in Deutschland sind wir vor derart massiven Angriffen nicht gefeit.
Das Selbstverständliche nämlich ist nicht mehr selbstverständlich in diesem Land, wenn „Jude“ oder „Schwuler“ oder „Zigeuner“ wieder Schimpfworte auf den Schulhöfen sind, wenn Muslime wieder Angst haben müssen, ihren Glauben offen zu leben.
Das Selbstverständliche ist nicht mehr selbstverständlich, wenn manche einen „Schlussstrich“ ziehen wollen, wo es keinen geben kann.
Wenn Parteien wieder bestimmen wollen, wer dazugehört und wer nicht – zu einem exklusiven Klub, einem einförmigen, einem grauen „Volk“ statt jener vielfältigen, bunten Bevölkerung, diesem starken wir alle, das unser Land doch längst prägt.
Bei alledem dürfen wir eines nicht vergessen: Was hier gerade passiert, auch heute in einer Augsburger Messehalle, ist kein Zufall, kein Spiel, kein Geplänkel – sondern ein gezielter Angriff auf die Grundlagen unserer Demokratie, auf Moral und Ethik, auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Was einige Kräfte in Deutschland gezielt und bewusst vorantreiben, ist die totale Entgrenzung von Sprache, die zügellose Verächtlichmachung von Politik, ist nicht selten auch die Umdeutung und Verharmlosung von Geschichte, offener Rassismus und sexistischer Backlash.
Da wird dann mit Goebbels-Zitaten kokettiert, und das Deutschlandlied in drei Strophen gesungen.
Es werden diejenigen diskreditiert, die sich wehren, die das Verbindende vor das Trennende stellen, die auf die Chancen hinweisen, statt Ängste zu schüren.
Empathie wird ausgelacht, Mitgefühl lächerlich gemacht, Herzlichkeit verschrien.
Und auch im Kleinen wird ein ums andere Mal, Wort für Wort, Satz für Satz, die Grenze des Sagbaren verschoben.
Nach dem Sagbaren aber kommt das Machbare, dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen.
Umso deutlicher senden wir heute ein Signal, unsere ganz eigene Augsburger Erklärung: nicht mit uns!
Wir ziehen uns nicht zurück, geben nicht klein bei, werden niemals schweigen.
Über alle politischen Differenzen, über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg engagieren wir uns weiter, sind da für diejenigen, die unsere Hilfe brauchen, hören zu und erklären.
Wir setzen uns ein für ein solidarisches Bayern, für ein gerechteres Deutschland, für ein Europa der Freiheit und Würde aller – wollen Zusammenhalt statt Spaltung, bauen Brücken, keine Mauern.
Deutsch, arabisch oder deutsch-arabisch; hetero und queer; schwarz oder weiß: Wir stehen gemeinsam auf gegen den Hass, für ein vielfältiges und gerechtes Miteinander.
So wie heute: mit Begeisterung, nicht Entmutigung.
Mit Liebe statt Hass.
Vor allem aber mit einer unmissverständlichen Ansage: Wir sind mehr, und wir lassen uns nicht unterkriegen!
Vielen Dank.