Die Corona-Pandemie geht auch am Sport nicht spurlos vorbei. Gerade für den Breitensport sind die Einschränkungen enorm, für die Sportler*innen ebenso wie für die Fans. Gemeinsames Sportschauen in den Stadien ist für viele Menschen weit mehr als reiner Sport-Konsum, das Fan-Sein ist ein wichtiger Teil ihrer Identität. Stadien, insbesondere Fußballstadien, sind ein besonderer Ort der Begegnung, in dem sich aktive Fans auch sozial, kulturell und politisch engagieren. Die Pandemie darf nicht zu einer Normalisierung der kurzfristig eingeführten Freiheitseinschränkungen führen, etwa personalisierte Tickets, Verbot von Gästefans oder Rückverfolgbarkeit und Datenspeicherung von anwesenden Fans.
Schon vor der Pandemie haben wir mit Sorge beobachtet, dass Grund- und Bürger*innenrechte von Fußballfans immer wieder offen in Frage gestellt und missachtet werden. Die Verengung politischer Diskussionen über Fußballfans allein auf Sicherheitsfragen und immer schärfere Repressionsmaßnahmen greift bei Weitem zu kurz. Wir sehen die Fans nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung.
Gemeinsam schaffen wir ein inklusives, antirassistisches und antisexistisches, ein offenes Stadion, in dem alle ihren Platz haben, wenn wir uns dort nach der Pandemie endlich wieder treffen können. Die BAG Sportpolitik hat unsere Ideen und Forderungen für eine grüne Fanpolitik in diesem Positionspapier aufgeschrieben, das ich sehr gerne unterzeichnet habe:
Positionspapier der BAG Sportpolitik von Bündnis 90/Die Grünen
beschlossen auf der Sitzung der BAG Sportpolitik am 12.12.20202
1. Einleitung
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik von Bündnis 90/Die Grünen begreift Sportpolitik nicht nur als Politik für Sporttreibende und Sportorganisationen. Auch Fanpolitik ist ein elementarer Bestandteil bündnisgrüner Sportpolitik.
Gemeinsames Sportschauen, insbesondere in Stadien, ist für viele Menschen weit mehr als reiner Sport-Konsum. Das Fan-Sein ist für viele Menschen ein wichtiger Teil ihrer Identität. Das Fußballstadion ist ein besonderer Ort der Begegnung, in dem sich aktive Fans auch sozial und politisch engagieren. Weil sich gerade im Fußball, nicht nur im Stadion, viele Tausende Fans – darunter sehr viele Jugendliche und junge Erwachsene – aktiv einbringen, Partizipation einfordern und aktiv mit gestalten, beschäftigen wir uns als Bündnis 90/Die Grünen weiter mit dieser vielfältigen Fankultur.
Auch in anderen Sportarten, wie dem Eishockey, sind bereits seit längerem Fankulturen und teils organisierte Fanszenen entstanden. Doch in keiner Sportart ist bspw. die Jugendsubkultur der Ultras so groß und so verwurzelt wie im Männer-Fußball. Prozentual machen die Fußballfans den größten Anteil der Fans in den deutschen Publikumssportarten aus. Zudem ist die mediale Aufmerksamkeit für den Fußball in Deutschland herausragend, sodass Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, LSBTIQ*-Feindlichkeit, Ableismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder Gewalt teils auch symbolisch auf der Bühne Fußball diskutiert und verhandelt werden.
Wir treten für eine vielfältige Fankultur ein. Egal ob Familie, Event-Fan, Kutte, Groundhopper*in, Alles-Fahrer*in, organisierter Fan, fanpolitisch Aktive*r oder Ultra: Jede*r hat ihren und seinen Platz im Stadion oder in der Halle.
Die Verengung politischer Diskussionen über Fußballfans allein auf Sicherheitsfragen und zu ergreifende, immer schärfere Repressionsmaßnahmen greift bei Weitem zu kurz. Grüne Fanpolitik sieht Fußballfans nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung.
2. Fußballfans geben ihre Bürger*innenrechte nicht am Stadiontor ab
Wir beobachten mit Sorge, dass Grund- und Bürger*innenrechte von Fußballfans immer wieder offen in Frage gestellt und missachtet werden. Der politische Diskurs über Fußballfans wird zu oft von populistischen Law-and-Order-Forderungen bestimmt und ist viel zu häufig von Unkenntnis der Fankultur geprägt. Zudem drängt sich seit Jahren der Eindruck auf, dass dieser Bereich immer wieder als Testfeld für Sicherheitsmaßnahmen in anderen gesellschaftlichen Bereichen genutzt wird.
Polizeibehörden haben intransparente und oft über lange Zeit geheim gehaltene Datensammlungen über Fußballfans angelegt. Teils wurden diese erst durch parlamentarische Anfragen aufgedeckt und im Nachhinein, viel zu spät, auf eine rechtsstaatliche Grundlage gestellt. Die Datensammlungen haben für dort eingespeicherte Personen sehr reale, drastische Konsequenzen, etwa bei Polizeikontrollen oder bei Reisen ins Ausland. In der sogenannten Datei „Gewalttäter Sport“ sind bei Weitem nicht nur Gewalttäter*innen gespeichert. Allein eine Personalienfeststellung kann reichen, um in dieser bundesweiten Verbund-Datei gespeichert zu werden. Unbescholtene Fans werden dabei nicht automatisch gelöscht. Ähnliches gilt für viele Dateien der szenekundigen Beamt*innen (SKB) der Länder. Hier besteht weiterhin ein großer Handlungsbedarf.
Wir fordern grundlegende Reformen dieser Datensammlungen. Betroffene Personen müssen proaktiv von den Behörden über eine Speicherung unterrichtet werden, wie es beispielsweise bereits in Bremen und Rheinland-Pfalz praktiziert wird, damit sie rechtlich dagegen vorgehen können. Die Daten unschuldiger Fans müssen umgehend, etwa nach einem Freispruch oder der Einstellung des Verfahrens, gelöscht werden. Die Voraussetzungen für die Speicherung der personenbezogenen Daten müssen verhältnismäßig sein und die Speicherungen auf ein absolut notwendiges Maß reduziert werden. Datenübermittlungen an andere, vor allem an autoritäre Staaten, bei denen ein angemessenes Datenschutzniveau nicht sichergestellt werden kann, wie beispielsweise anlässlich der Fußball-WM der Männer 2018 in Russland, verbieten sich.
Obwohl hinlänglich bekannt ist, dass Strafverschärfungen nicht zu einer höheren Abschreckungswirkung führen, diskutieren diverse Innenminister*innen in regelmäßigen Abständen völlig überzogene Maßnahmen gegen Fußballfans, seien es Strafverschärfungen für das Verwenden von pyrotechnischen Gegenständen oder den Entzug von Fahrerlaubnissen für Regelverletzungen bei Sportveranstaltungen. Statt populistischer Law-and-Order-Politik mit immer neuen Strafverschärfungen brauchen wir eine faktenbasierte Sport- und Innenpolitik, die sich auch an wissenschaftlichen Erkenntnissen z.B. aus den Sozialwissenschaften (bspw. der Sozialpädagogik und der Kriminologie) orientiert.
Es gibt immer wieder Berichte von grenzwertigen Gefährderansprachen gegenüber Fußballfans, die wir sehr ernst nehmen. Ansprachen der Polizei zur Gefahrenabwehr dürfen von Beamt*innen nicht zur Stigmatisierung von Fans in ihrem sozialen Umfeld, etwa am Arbeitsplatz oder im Elternhaus, genutzt werden.
Gegen Fans werden immer häufiger auch unverhältnismäßige Aufenthaltsverbote nach den Polizeigesetzen der Bundesländer für das Stadionumfeld oder ganze Städte ausgesprochen. Auch Fans, die im Zusammenhang mit Fußballspielen strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten sind, sind davon betroffen. Wir fordern daher einen deutlich eingeschränkten Umgang mit dem für den Fans schwerwiegenden Aufenthaltsverbot.
Den regelmäßigen Versuch, einen „gläsernen Fußballfan“ mit Zwang zu personalisierten Tickets, Nacktscannern und tief in die Grundrechte eingreifende Leibesvisitationen vor Kurven und Stadien, Richtmikrofonen in Blöcken, flächendeckender, zunehmend „intelligenter“ Videoüberwachung in Stadien, die Kontrolle und Identitätsfeststellung aller Anreisenden in Sonderzügen, sehr weitreichende Kontrollen von Blöcken, die stundenlange Kesselung von zum Teil hunderten Personen und die immer häufigere Anwendung vorgeschriebenen Anreisewegen bei Auswärtsfahrten seitens der Behörden zu etablieren, lehnen wir entschieden ab.
Auch die COVID-19-Pandemie darf nicht zu einer Normalisierung der pandemiebedingt kurzfristig eingeführten Freiheitseinschränkungen wie personalisierte Tickets, Rückverfolgbarkeit und Datenspeicherung von anwesenden Fans, Verbot von Gästefans und genereller Untersagung von Ausnahmegenehmigungen für Alkoholausschank führen.
Eine besondere Problematik bei Sportgerichtsverfahren der Verbände (DFB und UEFA) besteht darin, dass zwar lediglich ein Rechtsverhältnis zwischen Fußballklub und Verband besteht, die Klubs Verbandsstrafen für Fehlverhalten von Zuschauer*innen aber vermehrt zivilrechtlich an diese weiterleiten (in Regress nehmen). Dies empfinden viele Fans als ungerecht, denn neben strafrechtlichen Konsequenzen und einem Ausschluss aus dem Stadion (Stadionverbot) sollen so zusätzlich Geldbeträge in teils exorbitanter Höhe gezahlt werden.
Bei möglichen Stadionverboten sollte eine Stadionverbotskommission bspw. bestehend aus Vertreter*innen von Klub, sozialpädagogischen Fanprojekt und Fanhilfe-Verein herangezogen werden.
Zuschauer*innenausschlüsse und andere Kollektivstrafen sind untaugliche Maßnahmen – sie treffen immer auch unschuldige Fans und führen oft zu kontraproduktiven Solidarisierungseffekten. Der DFB muss grundsätzlich an der Aussetzung der Kollektivstrafen festhalten.
Wir fordern:
- Reformen der Datei „Gewalttäter Sport“ und der SKB-Dateien, u.a. mit Benachrichtigungspflicht bei Speicherungen, transparenten Widerspruchsmöglichkeiten, Reduzierung der Einspeicherungsgründe
- Reformen der Stadionverbotsrichtlinien unter Einbindung von Fanexpert*innen aus den Fußballvereinen und sozialpädagogischer Fanprojekten
- Grundsätzlicher Verzicht des DFB auf Kollektivstrafen
3. Fußballfans und Polizei: Verfestigte Feindbilder aufbrechen, Dialog intensivieren
An Spieltagen kommt es bisweilen zu Konflikten zwischen Fußballfans und der Polizei. Sowohl Fußballfans als auch Einsatzkräfte beklagen u.a. mangelnde Kommunikation, ehlendes Verständnis und aggressives Auftreten. Über Jahre haben sich an vielen Standorten wechselseitige Feindbilder manifestiert.
Das gegenseitige Verständnis muss verbessert, Feindbilder und Stereotype müssen weiter abgebaut werden. Dazu gehört, dass Wissen über Fankultur besser in der Polizeiausbildung vermittelt wird. Polizeiliches Handeln muss aber auch verständlich kommuniziert werden. Dialogformate, wie bspw. Regional- und Lokalkonferenzen aller beteiligter Akteur*innen vor und nach brisanten Spielen haben sich bewährt. Um zielführend zu sein, müssen bei Dialogformaten alle beteiligten Akteur*innen, insbesondere Fans und sozialpädagogische Fanprojekte, von Anfang an eingebunden sein. Bei den sogenannten „Stadionallianzen“ in Nordrhein-Westfalen ist dies nicht der Fall.
Grundsätzlich tragen deeskalierende Einsatzstrategien, etwa reduzierte Polizeipräsenz bei Nicht-Risiko-Spielen, meist nachweislich zur Entspannung der Situation bei. Die Einstufung von Fußballspielen als „Hochrisikospiele“ muss transparenter gestaltet werden, insbesondere ist hier die Expertise der sozialpädagogischen Fanprojekte und der Fanbeauftragten der Klubs einzubeziehen. Somit wäre höchstwahrscheinlich auch eine Reduzierung der Risikospiele insgesamt und damit auch eine Reduktion der Einsatzstunden der Polizeikräfte bzw. deren Einsatz in anderen gesellschaftlichen Bereichen möglich.
Um etwaiges Fehlverhalten der Polizei aufklären zu können und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und den Rechtsstaat zu stärken, fordern wir eine anonymisierte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen und die Einrichtung von unabhängigen Polizeibeauftragten in den Ländern und im Bund, die als Anlaufstelle für Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei wie auch Bürger*innen- und Menschenrechtsorganisationen zur Verfügung stehen.
Der verstärkte Einsatz von Fußballfansonderzügen kann dazu beitragen, die Einsatzbelastung der Polizei an Spieltagen zu reduzieren und gleichzeitig andere Bahnreisende zu entlasten.
Die Verwendung von Pyrotechnik ist oft der Grund für Polizeieinsätze beim Fußball. Der rein repressive Umgang mit Pyrotechnik ist offenkundig gescheitert. Modellversuche mit „Kalter Pyrotechnik“ in Dänemark oder Sondergenehmigungen zum kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik, wie beim Hamburger SV im Februar 2020 erfolgreich getestet, zeigen, dass es alternative Ansätze gibt, die die Sicherheit für alle im Stadion gewährleisten. Nachdem einzelne Klubs hier Offenheit signalisiert haben, liegt es nun an den Verbänden und der Politik, den Dialog mit den Fans wieder aufzunehmen und gemeinsam Möglichkeiten der legalen Verwendung von Pyrotechnik zu erproben.
Wir fordern:
- Deeskalierende Einsatzstrategien, etwa reduzierte Polizeipräsenz bei Nicht-Risiko-Spielen
- Unterstützung von Kommunikations- und Dialogformaten für Fans, Klubs und Sicherheitsbehörden
- Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen und unabhängige Polizeibeauftragte
- Mehr Fußballfansonderzüge
- Freiräume zum kontrollierten Umgang mit Pyrotechnik
4. Mit Prävention gegen Rechtsextremismus und Gewalt
Seit vielen Jahren versuchen Rechtsextreme und andere Menschenfeind*innen den Fußball als ihre Plattform zu instrumentalisieren. An vielen Standorten war und ist es die aktive Fanszene, oft die Ultras, die rechtsextreme Strukturen im Stadion zurückdrängen. Diese Bemühungen müssen von Fußballklubs, Fußballverbänden und Politik anerkannt und unterstützt werden und dürfen nicht kriminalisiert werden. Im Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit müssen Fans als Teil der Lösung einbezogen werden.
Viele lokale und bundesweite Faninitiativen stoßen wichtige Debatte über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Fußball und in der Gesellschaft an, bringen die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Vereine voran und sind sozial engagiert, wie aktuell während der COVID-19-Pandemie. Mit einem Bundesprogramm zur Prävention von Rechtsextremismus und anderer Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Sport wollen wir solche Initiativen besser als bisher unterstützen.
Innerhalb der Fußballfanszenen gibt es viele positive Entwicklungen, die wir begrüßen und unterstützen. So sind Fanchartas entstanden, die klare Bekenntnisse gegen Rassismus und Diskriminierung enthalten, rechtsextreme Symbole verbannen und Vereinbarungen mit den Vereinen beinhalten. Beteiligung wird so in einem weiteren geregelten Verfahren zum Alltag.
Stadion-Ordner*innen müssen im Umgang mit Rechtsextremismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geschult werden. Sie müssen entsprechende Verhaltensweisen, Äußerungen und Kleidungslabels erkennen können und entsprechend handeln. Die Veranstalter*innen müssen sicherstellen, dass das eingesetzte Ordnungspersonal selbst keine Verbindungen zur rechtsextremen Szene hat, wie das an manchen Standorten leider der Fall ist.
Die mittlerweile 61 vereinsunabhängigen sozialpädagogischen Fanprojekte, die 69 Fanszenen betreuen, und ihre Koordinationsstelle (KOS) leisten enorm wichtige Soziale Arbeit im Fußballumfeld. Sie fördern seit den 1980er Jahren erfolgreich eine positive Fankultur, sind aktiv in der Gewaltprävention und Demokratiestärkung, leisten Hilfestellung für meist jugendlichen Fans in Problemlagen und kommunizieren zwischen den am Fußball beteiligten Parteien (u.a. Fans, Vereine, Polizei und Ordnungsdienste). Die u.a. von der Koordinationsstelle Fanprojekte eingeführten und heute von Football Supporters Europe (FSE) auf internationaler Ebene koordinierten Fanbotschaften bei internationalen Turnieren sind wichtige Informationsplattformen für Fans und leisten einen signifikanten Beitrag zum friedlichen Aufeinandertreffen verschiedenster Fangruppierungen.
Die Arbeit der Fußballfanprojekte – unabhängig von der Liga des jeweiligen „Bezugsvereins“- braucht weiterhin verlässliche und angemessene finanzielle Rahmenbedingungen. DFL und DFB sowie Bundesländer und Kommunen müssen sich zu einer langfristig gesicherten auskömmlichen Finanzierung der Fanprojekte und ihrer Koordinationsstelle bekennen.
Für die Arbeit der Fanprojekte, bspw. für die langfristige Verhaltensänderung bei gewalttätigen Jugendlichen, ist das Vertrauen ihrer Klientel unabdingbar. Es darf nicht sein, dass Fußballfanprojektmitarbeiter*innen – wie immer wieder geschehen – zu Ermittlungszwecken von der Polizei herangezogen und dazu gezwungen werden, gegen ihre eigene Klientel auszusagen. Wir fordern daher ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojektmitarbeiter*innen und alle Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit durch deren Aufnahme in den Kreis der Berufsgruppen des § 53 Abs. 1 StPO.
Als zentralen Partner der Fanprojekte hat sich die professionelle Fanarbeit der Klubs entwickelt. Allerdings sind die Fanbeauftragten der Klubs nur in der Bundesliga und 2. Bundesliga der Männer unter Zuständigkeit der DFL auch verpflichtend. Wir wollen die professionelle Fanbetreuung auf weitere Ligen ausweiten.
Wir beobachten mit Sorge, dass auch, oftmals rechtsextreme, Hooligans den Extremkampfsport, bspw. Mixed Martial Arts (MMA), Kickboxen oder Muay Thai, nutzen, um ihre Gewaltkompetenz zu steigern. Dies stellt eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie dar. Hier gilt es Gegenstrategien zu ergreifen. Dazu gehören Präventionsprogramme im Extremkampfsport, Lizenzierungsverfahren für Gyms und Trainer*innen, Gegenwehr aus dem Kampfsport selbst und die Unterstützung demokratischer Kräfte im Kampfsport durch die Sportpolitik.
Wir fordern:
- Langfristige Finanzierungssicherheit für die Fanprojekte durch DFL, DFB sowie Bundesländer und Kommunen in auskömmlicher Höhe
- Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojektmitarbeiter*innen und alle Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit durch deren Aufnahme in die geschützten Berufsgruppen des § 53 Abs. 1 StPO
- Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus im Sport
- Präventionsprogramme im Extremkampfsport
5. Ein inklusives Stadion für alle
Der Zuschauer*innensport Fußball muss endlich inklusiv werden. Das bedeutet, dass Barrieren für Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten, unterschiedlichster Fähigkeiten, Geschlechter, sexueller Orientierung, Religionen und Herkunft in Stadien und im Vereinsleben weiter abgebaut und Teilhabemöglichkeiten optimiert werden.
Konkret sollten Alternativen zu isolierten Bereichen für Fans mit Behinderung im Stadion im Sinne der Wahlfreiheit geschaffen werden. Audiodeskriptive Reportagen und Verdolmetschung in Gebärdensprache sollten in Stadien verfügbar sein. Stadioninfrastruktur sollte dem demographischen Wandel dringend Rechnung tragen und angepasst werden. Auch die Barrierefreiheit im Vereinsleben, also bspw. von Vereinsgeschäftsstellen, Jahreshauptversammlungen oder im Bereich der Kommunikation, muss gewährleistet werden.
Da Fankurven, wie Vereins- und Verbandsstrukturen, meist männlich dominiert sind, gilt es die geschlechterreflektierende Fanarbeit weiter zu fördern. Um Stadien zugänglicher für trans- und intergeschlechtliche Personen zu machen, sollten bspw. neben Männer- und Frauen- auch Unisex-Toiletten eingerichtet werden. Wir begrüßen, dass der DFB bei diesem Thema bereits aktiv geworden ist, und fordern auch die Stadioneigentümer*innen auf, noch sehr viel stärker tätig zu werden.
Grundsätzlich gilt, dass von Vereinen und Verbänden nach außen vertretene Werte, wie bspw. Vielfalt und Anti-Diskriminierung, auch innerhalb der eigenen Strukturen gelebt werden müssen. Ein auch intern umgesetztes Bekenntnis zu solchen Werten, das wir uns bei den Ultras in der Kurve wünschen, erwarten wir ebenso in Aufsichtsräten oder in Geschäftsstellen. Um die Vielfalt der Gesellschaft auch in den Gremien des Fußballs abzubilden, erscheint uns eine Geschlechterquote, wie sie bereits beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gut funktioniert, bspw. auch für die Gremien des DFB und seiner Landesverbände als ein zielführendes Mittel.
Ein besonderes Augenmerk muss auf die Prävention sexualisierter Gewalt und Diskriminierung im Zuschauer*innensport Fußball gelegt werden. Während es im Aktivensport bereits Konzepte zur Prävention sexualisierter Gewalt, etwa von der Deutschen Sportjugend (dsj), gibt, gibt es für den Zuschauer*innensport zwar erste Konzepte vom Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt, insgesamt steht die Entwicklung im Fußball aber noch am Anfang. Alle Akteur*innen im Fußball sollten für dieses Thema sensibilisiert und eindeutige Positionierungen in Satzungen und Leitbildern verankert werden. In Zusammenarbeit mit allen Akteur*innen müssen lokale Handlungskonzepte, u.a. mit der Einrichtung eines Beschwerdemanagements, entwickelt werden. Wir begrüßen, dass schon ein paar Profiklubs in dieser Hinsicht aktiv geworden sind und Anlaufstellen und Hilfetelefone eingerichtet haben bzw. ihr Ordner*innenpersonal gezielt geschult haben. Jedoch hat bis jetzt der größte Teil der Klubs noch kein Handlungskonzept bezüglich sexualisierter Gewalt im Stadion entwickelt.
Überhaupt kann ordnungspolitisches Handeln die Teilhabemöglichkeiten besonders vulnerabler und marginalisierter Gruppen im Fußball maßgeblich positiv beeinflussen oder gefährden. Ordner*innendienste und Polizei sollten daher grundsätzlich auf einen sensiblen Umgang mit vielfältigsten Zugangsbedürfnissen und Zielgruppen geschult werden.
Beratungsangebote für Inklusion und Vielfaltsmanagement und die Schaffung einer übergeordneten, unabhängigen Anlaufstelle zur Qualifizierung von Organisationen, Fans, aber auch für Betroffene von Diskriminierung im Fußball zur Ergänzung bzw. Vernetzung mit lokalen Strukturen sind überfällig – entsprechende Rufe seitens Fans und Vereinen existieren schon seit vielen Jahren.
Wir fordern:
- Umfassende Barrierefreiheit in Stadien und im Vereinsleben
- Lokale Handlungskonzepte zur Prävention sexualisierter Gewalt
- Schulungen von Ordnungsdiensten und Polizei zum sensiblen Umgang mit diversen Zielgruppen
- Einrichtung einer unabhängigen, bundesweiten Anlaufstelle zum Diskriminierungsschutz im Fußball
6. Wem gehört der Fußball?
Wir treten ein für einen basis-nahen, transparenten und demokratisch verfassten Fußball, der sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig ist. Der Fußball in der Bundesrepublik ist größtenteils in demokratischen Vereins- und Verbandsstrukturen organisiert. Die Mitbestimmung von Vereinsmitgliedern darf nicht zur Disposition gestellt werden.
Eine zentrale Rolle spielt hierbei die 50+1-Regel, die sicherstellt, dass Fußball nicht zur Spielwiese von Investor*innen wird. Diese dürfen wie alle anderen Mitglieder mitbestimmen, aber nicht über diese hinweg. Die 50+1-Regel steht damit in besonderer Weise für demokratische Mitbestimmung und garantiert diese. Auch würde ein großflächiger und unregulierter Einstieg von Investor*innen nicht zu mehr Wettbewerb in der Spitze führen, da vor allem die Top Klubs für diese interessant sind. Die 50+1-Regel muss beibehalten werden, weitere Ausnahmen von ihr schaden dem Fußball. Auch über die 50+1-Regel hinaus braucht es mehr Mitbestimmung von Fans in Klubs und Verbänden. Teilhabemöglichkeiten von Fans müssen verbessert und verstetigt werden.
Fußball bringt verschiedenste gesellschaftliche Schichten zusammen, welche sich im normalen Leben nicht begegnen würden. Jede*r sieht im Stadion das gleiche Spiel. Diese Vielfalt gilt es zu bewahren und auszubauen. Um das Stadion als Raum der Begegnung zu erhalten, sind Stehplätze und solidarisch gestaltete Ticketpreise unabdingbar.
Der Fußball lebt auch von der Anwesenheit von Gästefans. Auswärtsfans nehmen oftmals viel auf sich, um ihr Team bundesweit zu unterstützen. Die Anstoßzeiten sollten daher möglichst fanfreundlich gestaltet werden.
Politische Statements im Stadion, auch Kritik an der Politik der Vereine und Verbände, dürfen nicht sanktioniert werden so lange sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen bzw. müssen im Rahmen der geltenden Rechtsprechung behandelt werden, sofern sie Anlass für eine solche Bewertung bieten. Meinungsäußerungen sind ein wichtiger Ausdruck unserer demokratischen Gesellschaft, zu welcher auch der Publikumssport gehört.
Nicht erst durch die Folgen der COVID-19-Pandemie wurden die diversen Problemlagen des Fußballs offenkundig: Mangelnde wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit, ungerechte Verteilung der TV-Einnahmen, exorbitante Spielergehälter und Beraterhonorare und vieles mehr. Für all diese Probleme müssen nun unter Einbindung aller beteiligten Akteur*innen, insbesondere auch der Fans, Lösungen erarbeitet werden, um den deutschen Fußball nachhaltig aufzustellen und der bereits weit um sich greifenden Entfremdung der Fans Einhalt zu gebieten.
Wir fordern:
- Erhalt und Sicherung der 50+1-Regel
- mehr Mitbestimmung von Fans in Klubs und Verbänden
- Erhalt von Stehplätzen und sozialverträglichen Eintrittspreisen
- Beteiligung aller Akteur*innen am Reformprozess des Fußballs
Beschlossen durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik von Bündnis 90/Die Grünen am 12.12.2020
Autor*innen:
Rupy David (Koordinatorin), LV NRW
Jakob Rödl (Koordinator), LV Berlin
Maximilian Deisenhofer MdL, LV Bayern
Volker Goll, LV Bayern
Marcel Krämer, LV Bayern
Ines Kummer MdL, LV Sachsen
Boris Mijatovic, LV Hessen
Martin van Elten, LV Thüringen
Erstunterzeichner*innen:
Monika Lazar MdB
Dr. Konstantin von Notz MdB
Erhard Grundl MdB
Claudia Roth MdB
Omid Nouripour MdB
Dr. Irene Mihalic MdB
Wolfgang Wetzel MdB
Katharina Schulze MdL, Bayern
Josefine Paul MdL, Nordrhein-Westfalen
Maximilian Deisenhofer MdL, Bayern
Ines Kummer MdL, Sachsen
Mustafa Kemal Öztürk MdBB, Bremen
Özcan Mutlu, Präsident des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Berlin e.V.
Nicole Ludwig MdA, Berlin
Daniel Köbler MdL, Rheinland-Pfalz
Astrid Rothe-Beinlich MdL, Thüringen
Gabriele Triebel MdL, Bayern
Jan-Henrik Gruszecki, Nordrhein-Westfalen